Gott im Dialog
„Wer bist du?“ – diese direkte Frage kann man nur in einem Dialog stellen. In dem bisherigen Dialog der Philosophie mit Gott antwortet Gott auf die Frage einmal als der „vorbeigehende Er“ – wenn es uns mit Lévinas um das Nachspüren dem ethischen Anspruch geht, den wir im Gesicht des Nächsten sehen, — und ein anderes Mal als das „absolute Du“ – wenn wir gemeinsam mit Buber das vergegenständlichende Fungieren in die personale Bezugnahme integrieren wollen; er antwortet auf sie als der liebende Schöpfer und Erlöser – wenn wir zusammen mit Rosenzweig die alttestamentliche Art und Weise der menschlichen Pilgerschaft mit Gott philosophisch zugänglich zu machen beabsichtigen, — und auch als das fleischgewordene Wort – wenn es uns zusammen mit Ebner um die persönliche Beziehung zu Jesus Christus geht. In jedem Dialog ist die Antwort das Hoheitsprivileg des Partners, aber zugleich ist sie von der Frage bedingt. Die Authentizität der Verdolmetschung der Antwort ist nur durch ein neues Fragen und ein neues Antworten – Fortsetzen des Dialogs – zu bewahrheiten. Was wird Gott wohl antworten, wenn es uns in unserem philosophischen Fragen nun – nach Ebner, Rosenzweig, Buber und Lévinas – schon direkt und ausschließlich um ihn selbst gehen wird?
Während man mit Gott nur persönlich im Dialog sein kann, kann man die philosophische Rede nur über Gott, also unpersönlich halten. (Nicht einmal die Vergewaltigung des philosophischen Ausdrückens mittels der grammatischen Form der direkten Rede kann die volle Wirklichkeit dieses Dialogs tatsächlich explizit machen.) Wenn wir uns jedoch persönlich dauerhaft der apriorischen Unangemessenheit jeglichen philosophischen Ausdrückens über Gott bewusst sind, ohne dabei zu resignieren, bleiben wir auch auf dem Boden der Philosophie implizite im persönlichen Dialog mit Gott – also auf dem Boden seines Selbstmitteilens.
Die Authentizität oder Wahrhaftigkeit des Philosophierens über Gott ist also primär und unentbehrlich eine Angelegenheit der dialogischen Offenheit der ganzen menschlichen Person. Die unpersonale philosophische Rede – mit ihrer institutionalisierten Pflege der Begriffsklarheit – kann dann ein Werkzeug im Dialog mit Gott werden.
In den Dialog mit Gott einzutreten bedeutet, dem zu begegnen, der – zum Unterschied von personalen und unpersonalen Instanzen, denen durch das monologische Denken irgendwann der Status der Gottheit zugeteilt wurde oder wird – sich selbst als Gott bestimmt: als eine unendliche, von allem und zu allem freie (oder absolut transzendente) Person.
Im Dialog begegnet Gott dem Menschen nicht als einem isolierten „Ich“ oder einem vergegenständlichten „Er“ (oder „Sie“ – im Singular und Plural), sondern er ruft kompromisslos den Menschen als ein personales und in der Beziehung offenes Wesen zum Leben heran; so dass in der Rede über Gott das Wort „Mensch“ immer eine polysemische Bedeutung von nicht vergegenständlichbaren und gegenseitig nicht-isolierbaren „Ich“-„Du“-„Wir“-„Ihr“ besitzt.
Durch die Verwandtschaft des Personalen ist der Dialog Gottes und des Menschen grundsätzlich überhaupt ermöglicht. Dabei begründet die Personalität nicht das Recht, die Person Gottes zu anthropomorphisieren. Die Asymmetrie des Endlichen und Unendlichen schafft im Gegenteil die Ungleichheit, der zufolge ein unendlicher, unausschöpfbarer Dialog möglich ist.
Gott spricht den Menschen primär als eine einzelne Person – „mit seinem eigenen Namen“ – an, aber trotzdem verliert seine Anrede offensichtlich nicht die dialogische Lebendigkeit, in den Zusammenhängen der menschlichen Gemeinschaft, der Traditionen und Reflexionen, soweit sie diesem Dialog offen sind.
Die Offenheit der Philosophie kann sehr radikal sein – soweit es ihr gelingt, all ihre Teilausgangspositionen und Zugänge durch die folgerichtige Behauptung des Grundzugangs zu relativieren, der ihre wahrhaft eigentliche Identität bildet (und der zugleich von wesenhaft dialogischer Natur ist): die Behauptung des unbedingten Fragens.
Die Philosophie, die dieses ihr reinstes Fragen auf Gott in seiner dialogischen Beziehung mit dem Menschen ausrichtet, entdeckt diesen Dialog als eine personale Interaktion – die jedoch in weiteren personalen und unpersonalen Kontexten des geistlichen und materiellen Lebens verläuft. Man kann von ihnen nicht legitim abstrahieren, weil mit ihrer Hilfe, durch sie und mit Folgen für sie sich der Dialog zwischen Gott und Mensch abspielt.
Jedoch die Kernfrage der dialogischen philosophischen Theologie (wenn man sie als einen autonomen Bereich auffasst) ist die Frage, wer Gott ist, die in einer impliziten personalen Beziehung zu ihm gestellt wird. Weil Gott gewiss auch in der Beziehung zur philosophierenden menschlichen Person der ist, der er ist, wird der Philosoph nach Maß seiner Offenheit dem Dialog mit Gott gegenüber zum reflektierenden Zeugen.
Auch in seinem Dialog mit Philosophen kann sich Gott dadurch verständlich machen, dass er ihnen aus seinem „unzugänglichen Licht“ entgegenkommt und dieses sein Licht dialogisch in das Spektrum der menschlich wahrnehmbaren Farben entfaltet. Es sind einzelne besondernde Expressionen der gesamten göttlichen Rede zum Menschen (also nicht „Attribute“, „Prädikate“, „Qualitäten“ oder „Phänomene“ des monologischen Denkens), die ihren unendlichen Sinn im Akkord des gegenseitigen Durchdringens haben, aber der Kapazität des endlichen menschlichen Wesens sich auch zu einem möglichen fortschreitenden Wahrnehmen anbieten: Anziehung, Verborgenheit, Nähe, Heiligkeit, Liebesfülle. Ihr Wahrnehmen ist nicht neutral; es verläuft als eine wesentliche Betroffenheit von dem Wahrgenommenen, dem zu antworten vor allem notwendig ist – womöglich so, dass der Dialog fortgesetzt werden kann.
Das dauernde fragende Hinstreben zur Fülle des Dialogs mit Gott übersteigt sicherlich den folgenden spärlichen und fragmentarischen experimentellen Entwurf, aber auch jede Form der dialogischen Theologie; der Theologie, die weiß, dass sie niemals etwas mehr als eine Haltestelle auf dem unendlichen Weg sein kann.
Anziehung
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Die alltägliche menschliche Abwehr gegen die göttliche Wirkung kann auch theologisch formuliert werden, wenn der Mensch seine Fragen nur an seine Traditionen, seine Vernunft und seine Erfahrung stellt, wenn er mit ihnen nur seine Welt und seine Religion erforscht, wenn er bloß „Beweise“, „Wege“, „Chiffren“, „Spuren“ sucht und auf deren Grund seinen theologischen Glauben als eine bloße Konvergenz der immanent verankerten Wahrscheinlichkeiten aufbaut. Dann kann er sich – auch mit seiner Gottesidee – ständig vollkommen bei sich fühlen. Der Begriff der Transzendenz oder des Geheimnisses kann ihm nicht als Schlüssel zum dialogischen Eröffnen aller Horizonte, sondern im Gegenteil als Hilfsmittel zum Hinausschieben Gottes hinter alle Horizonte dienen.
Auf dieser Ideengrundlage wird dann auch die praktische Frömmigkeit im Stil eines konsumhedonistischen Anthropozentrismus erlebt: Die „Anziehung Gottes“ fungiert da als ein imaginäres, nur die angenehmen menschlichen Situationen durchdringendes Fluidum.
Diese phantastische Reduktion der Wirkung Gottes erweckt notgedrungen eine trotzige Reaktion des entgegengesetzt, d. h. „gottlos“ orientierten Anthropozentrismus: die Vorwürfe der vermutlichen Absenz Gottes in ungünstigen und absurden Situationen.
Solange der Mensch sich in seinem Nachdenken über Gott – sei positivem oder negativem – mit dem Zusammenspiel seiner autonomen Tendenzen (Wünsche, Bedürfnisse, Interessen...) und der ihnen komplementären Projektionen (Vorstellungen, Begriffe, Ideale...) begnügen will, respektiert Gott offensichtlich diese Wahl; er schweigt dialogisch. Der potentielle und aktuelle Dialog ist nur auf dem Grund der beiderseitigen Freiheit – einschließlich der menschlichen Freiheit zur Ablehnung – möglich.
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Die Anrede seitens der Anziehung Gottes ertönt in die allgemeine Situation, in der sich die Menschen spontan und natürlich um die Sicherheit in ihren Lebensbedingungen bemühen. Im immanenten Kontext der Welt stützen wir unsere Existenz auf die Beziehung zu dem, was wir fähig sind, entweder problemlos zu bewältigen oder woran wir unproblematisch partizipieren können.
Die Wirksamkeit dieser materiellen und geistigen Selbstsicherung hat jedoch ihre Grenzen. An ihren Rändern zerfließt sie ins Unbestimmte (wir können nicht Herren werden von allem, was es gibt, noch können wir sicher sein, dass der materielle und geistige Kontext unseres Lebens, dem wir vertrauen, ohne ihn in seinem Ganzen überschauen zu können, uns nicht enttäuschen wird) und in seinem Kern ist sie von unseren eigenen Fehlern bedroht (der Mensch weiß nie vollkommen, was er tut).
Ein Dauerbestandteil des menschlichen Daseins in der Welt ist darum eine potentielle Krise. Die Geschichte der Zivilisation zeigt, dass die Dimensionen der menschlichen Macht (einschließlich der durch die Ergebung vermittelten) und die Dimensionen des menschlichen Scheiterns parallel wachsen. Diese Situation der wesenhaften Ungesichertheit bildet die elementare Voraussetzung der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit für das Angesprochenwerden von der göttlichen Anziehung.
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Weil diese direkte Anrede in die menschlichen Zusammenhänge nicht eingeordnet werden kann, kann sie zuerst nicht anders als anonym geschehen, und zwar durch das unberechenbare Anwachsen der äußeren oder inneren Unsicherheit (materielle Katastrophe, geistige Leere u. ä.). Die göttliche Anziehung „schüttelt“ gleichsam die menschliche Verankerung in der Immanenz der Welt und in der nur relativen Transzendenz von jeglichem, was vom Gesichtspunkt dieser Anziehung dem Dialog mit ihr im Wege steht. Die Radikalität dieser Verunsicherung wendet die Aufmerksamkeit zur reinen Vertikale – zum Suchen Gottes (unabhängig davon, ob ihn der Mensch schon seit langem „kennt“ oder ob Gott für ihn vorerst nur eine sehr nebelhafte Instanz ist).
Diese anfängliche Anonymität des Wirkens der Anziehung Gottes ist wieder ein Ausdruck der Achtung vor der menschlichen Freiheit: der Mensch kann sich immer ganz frei gerade an Gott erinnern, aber er muss es auch nicht. Diese Möglichkeit der Wahl für uns aufrecht zu halten, auch trotz der gegenteilig wirkenden Determinanten und Autoritäten, das ist die Konstante dieses Wirkens. Die Relativierung der Sicherheiten betrifft daher nicht nur ihre „positiven“ Varianten. Auch die destruktiven Wertfixierungen des Zynismus, der Skepsis und Verzweiflung erscheinen in den Kraftlinien der göttlichen Anziehung als ein begrenztes Ersatzmittel des freien und wahrhaften Suchens.
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Man kann sagen, dass – zum Unterschied jedweder anderen Anziehung – die Anziehung Gottes den Menschen nie bloß zur Befriedigung seiner Sehnsucht führt, sondern zu etwas, wonach sich der Mensch nicht spontan sehnt – immer zu etwas mehr. Gottes „Alles ist anders“ ist radikal befreiend: der Einfall der „Fremdheit“, womit die Anziehung des Absoluten die menschlichen Wege kreuzt, kann äußerlich auch eine stark destruktive Sprengladung haben, sein innerer Sinn ist jedoch immer schöpferisch – wir werden zu einem unendlichen Dialog eingeladen.
Erst in ihm können sich fortschreitend auch weitere Expressionen der göttlichen Rede (Verborgenheit, Nähe, Heiligkeit, Liebesfülle) voll entfalten, die nun nur im Verborgenen in ihrer zuweilen bloß allgemeinen, unbestimmten und „dunklen“ Anziehung mitschwingen.
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Der beginnende Dialog mit der Anziehung Gottes umgeht oder durchdringt unabhängig alle kommunikativen Strukturen, die sich im menschlichen Individuum sowohl von seiner angeborenen Ausstattung als auch von den geerbten Kulturtraditionen und der individuellen Erfahrung her entwickelt haben. Sinneswahrnehmung, Logik, Sprache, Interpretationsmuster – alle menschlichen Beziehungs-Apriori, von den anthropologischen Konstanten an über die von der bestimmten Kultur aufgebauten Zugänge bis zu den individuellen Ausgängen zur Kommunikation – das alles kann von der göttlichen Anziehung durchdrungen oder ausgeschaltet werden – nach Bedarf der Zeit, in der das personale Zentrum des Menschen angesprochen wird.
Mit Hilfe der Analogie angedeutet: der Dialog mit einem anderen Menschen relativiert in uns unsere individuellen Sonderheiten, der Dialog mit einer anderen Kultur offenbart uns unsere Kulturrelativität, in der Beziehung zur Natur können wir der relativen Dimension unseres Menschentums bewusst werden; im Dialog mit der Anziehung Gottes sind wir in einen generell relativierenden Abstand – zur reinen Offenheit Gott gegenüber – „herausgezogen“. Als ob wir (mit allen unseren potentiellen Beziehungen) von Gott neu geschaffen werden sollten: jetzt freilich schon mit unserer persönlichen Zustimmung und schöpferischen Mitarbeit.
Die dialogisch antwortende Haltung des Menschen von Angesicht zu Angesicht der göttlichen Anziehung hat daher eine Analogie vielleicht nur in der Haltung, die in der unmittelbaren Konfrontation mit dem Tod aktiviert wird: sie wird als ein unspezifizierter absoluter Lebensernst erlebt.
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Mit seiner Anziehung macht uns Gott auf die Möglichkeit des direkten Gesprächs mit ihm aufmerksam. Er gewährt den menschlichen Personen eine frei wählbare Chance, sich auf ihn nicht nur mittels der Spiegel der Welt oder ihrer selbst zu beziehen. Er macht eindeutig offenbar, dass er im menschlichen Denken und Leben nicht als eine entfernte und sekundäre, nachträglich von anderen, „näheren“ Wirklichkeiten ableitbare Instanz figurieren will; dass er unser primäres personales – unmittelbar zugängliches und für sich selbst sprechendes – Gegenüber sein will, von dessen Kontakt sich umgekehrt die Weise unserer Beziehung zur Welt und zu uns selbst ableiten sollte.
Der monologische Zugang zu Gott – durch die „Sicherheit“ der Welt oder des Menschen selbst – kann sich (wenn wir wollen) so durch die Anrede der göttlichen Anziehung umgekehrt zu einem von Gott dialogisch gesicherten Weg zur Welt und zu uns selbst verwandeln. Der Ausgangspunkt ist dann nicht mehr das, was wir fähig sind, von Gott zu denken oder zu sagen, sondern das, was er selbst uns von sich sagt.
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Durch seine souveräne Anziehung sagt Gott vor allem aus, dass er unendlich mehr ist als jegliches, das er nicht ist; und er verlangt von uns, dass wir (wenn wir wollen) unsere Hierarchie der Werte dem anpassen: die sine qua non Bedingung unseres Beharrens in der möglichen dialogischen Beziehung zu Gott ist es, ihn an die erste Stelle zu stellen; sonst verfehlen wir seine authentische Identität – wir führen ein Gespräch mit „Gott“ (den wir uns selber geschaffen haben).
Die rätselhafte Anziehung des lebendigen Gottes geht oft quer durch alle unsere Interessen, und bisweilen sogar unsere Grundbedürfnisse: Er zieht uns so an, wie er will, nicht wie wir wollen. Dieses absolute Anderssein – nur von einem von ihm initiierten Dialog überbrückbar – ist das entscheidende Unterscheidungskriterium der Anziehung Gottes und der Anziehung von jeglichem anderen.
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Im Dialog mit der Anziehung Gottes verschiebt sich der Schwerpunkt der Beziehung des Menschen und Gottes zu Gott hin. Das Sich-Ergeben an diese Anziehung ist eine Öffnung und Hingabe der monologischen und anthropozentrischen Struktur des menschlichen spontanen „Selbstseins“ an die göttliche „fremde“ Macht. Die Bildungsweise der menschlichen Identität wird damit völlig verändert.
Eine radikale Demut kann man deswegen als das hauptsächliche anthropologische Kriterium des Kontakts mit dem lebendigen Gott verstehen. Denn von Angesicht zu Angesicht Gott gegenüber zu stehen – mag es auch „blind“ sein – bringt dem Menschen immer mindestens eine begrenzte Ahnung, wer Er sei und wer „ich“ bin. Die Macht der Anziehung Gottes ist eine direkte Mitteilung der Größe dieses Unterschieds.
Verborgenheit
1
Während die Anziehung Gottes mit ihrer Aktivität eher den passiven Aspekt der menschlichen Freiheit herausfordert – sich loslösen zu lassen –, ist die Verborgenheit Gottes eine passive Herausforderung zur aktiven Freiheit des Suchens. In diesem größtmöglichen Lebensabenteuer ist der Mensch sicherlich dem Risiko mancher Ungewissheiten und Verfehlungen ausgesetzt. Sucht er aber wirklich Gott – und das wird sich auf diesem Weg durchprüfen – hat für ihn dieses Risiko (wie stark er es auch erleben mag) im Vergleich mit dem Wert der gesuchten Beziehung eine vernachlässigbare Bedeutung.
Diejenigen Menschen, die mindestens auf unbestimmte Weise Gott als „das“ erkannt haben, ohne das nichts Weiteres für sie einen Sinn hat, die aber zugleich eine hinreichende Gewissheit der wirklichen Beziehung, ja sogar der „Existenz“ dessen entbehren, der sie so unvergleichlich anzieht, sind von der Verborgenheit Gottes herausgefordert, dass sie es trotz dieser ihrer Seelennot doch schaffen, die unbedingte Offenheit ihm gegenüber nicht mit der Kritiklosigkeit gegenüber ihren eigenen Wünschen oder gegenüber Wirklichkeiten, die sich auf seinen Platz drängen, zu vertauschen, – dass sie es schaffen, sich nichts von ihm monologisch einzubilden; dass sie es vermögen, ihre Stellung der dialogischen Offenheit zu seiner wirklichen Größe, zu seiner wirklichen Unendlichkeit zu halten und zu festigen; dass sie sich nicht mit etwas Geringerem zufriedengeben, nicht einmal mit einer Spur Gottes – mag sich diese Spur „Religion“, „Glaube“, „Kodifikation der Offenbarung“ u. ä. nennen –, sondern zuerst und dauerhaft nach ihm selber streben.
Während die Anziehung von Gott als ein respektvoller Imperativ ausgesprochen wird, lautet die Verborgenheit Gottes als eine Frage: Sehnst du dich wirklich nach mir? Willst du wirklich wissen, wer ich bin? Was lässt du dir die Begegnung mit mir kosten? Die positive menschliche Antwort ist das dialogische Beiseitelegen aller bedingten Erwartungen und die Relativierung aller vorläufigen Vorstellungen.
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Die Verborgenheit Gottes ist die innere Dimension der göttlichen Offenbarung; sie ist das, was die göttliche Offenbarung von jener sichtbaren Wirklichkeit unterscheidet, die nur sich selbst oder etwas anderes als Gott offenbart. Ohne die Beziehung zu Gott in seiner Verborgenheit wären wir nicht fähig, die göttliche Rede auch in den personalen und unpersonalen Wirklichkeiten, in denen sie sich offenbart, zu erkennen, und würden es nicht vermeiden, sie aus den Wirklichkeiten, in denen sie sich nicht offenbart, darzulegen. Gott in jeder Weise, auch in seiner Verborgenheit, anzunehmen bedeutet dann auch seine Offenbarung um seinetwillen anzunehmen, nicht um der eigenen immer schon irgendwie begrenzten und begrenzenden Sehnsucht nach der oder jener Offenbarungsweise willen. Der Dialog mit der göttlichen Verborgenheit ermöglicht es dem Menschen, sich auch in der wirklichen göttlichen Offenbarung auf Gott und nicht auf seine eigene Vorstellung zu beziehen.
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In seiner Verborgenheit ist Gott in höchstem Maße wehrlos, aber auch in höchstem Maße unberührbar. Er kann so den Menschen den entsprechend einfühlsamen Dialog effektiv lehren: denn auch nur durch eine unüberlegte monologische Willkür – die wegen der göttlichen Verborgenheit sehr naheliegend ist – verliert der Mensch von seiner Seite her die Beziehung zu Gott.
In der Beziehung zur göttlichen Verborgenheit steht so der Mensch andauernd vor einer Entscheidung auf des Messers Schneide: entweder sich hinsichtlich der Wehrlosigkeit dieser Verborgenheit vor eigenen Selbsttäuschungen und ideologischen Konzeptionen „nicht so sehr zu fürchten“ oder sie, mit dem Respekt gegenüber dieselbe Wehrlosigkeit, aufhören zu bilden, weil man durch die Hervorbringung eines „Bildes“ die Beziehung brechen kann. Es gilt nicht, dass, wenn Gott verborgen ist, „ohnehin keine andere Möglichkeit übrig bleibt“. Vom Weg zu Gott nicht abzuweichen bedeutet nicht einmal von Angesicht zu Angesicht seiner vollständigen Verborgenheit die dialogische Offenheit durch eine monologische Willkür zu ersetzen.
Jegliches, dem man auf dem Weg zu Gott begegnen kann, kann zu einem Orientierungszeichen werden, dem gegenüber es nicht ratsam ist, es zu übersehen oder an ihm hängen zu bleiben. Die sicherste und direkteste Antwort auf die Herausforderung Gottes ist es jedoch, sich nicht mit dem Erforschen von zufälligen und vermischten oder vieldeutigen einzelnen Wirklichkeiten zu belasten, hinsichtlich der Echtheit oder Unechtheit der Stütze, die sie dem suchenden Menschen leisten kann, und sich nur auf der reinen Kommunikationswelle der göttlichen Verborgenheit zu halten, sich durch nichts von ihr abbringen zu lassen. Das, was auf ihr übertragen wird – das Grundbewusstsein der dauernden persönlichen Beziehung (oder auch nur – wenn der Dialog Gottes mit dem Menschen bis jetzt anonym ist – ein tiefes Bewusstsein, dass es einen absoluten Sinn hat, sich so zu verhalten) – ist wertvoller als jegliches bloß Offenkundigere.
Gerade der göttlichen Verborgenheit gegenüber kommt es an den Tag, ob es dem Menschen um die wirkliche Beziehung zu Gott tatsächlich in dem Maße geht, dass er sich auf kein Ersatzmittel oder einen Abweg einlassen will: nicht einmal auf so scheinbar unauffällige Barrieren, wie ein monologisches Gebet, eine Vorstellung der lebendigen Beziehung, eine kollektive Suggestion dieser Vorstellung (und Verzicht auf die Beziehung), immer irgendwie begründete eigene Deutungen der religiösen Wirklichkeiten, u. ä. Gott stellt durch seine Verborgenheit verlässlich fest, ob der Mensch wahrhaft bereit ist, ihm zu folgen. Die Verborgenheit Gottes ist unter anderem eine Enthüllung der Wahrheit über den Menschen.
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An den offenbaren Wirklichkeiten, die sich uns in dem oder jenem Zusammenhang mit Gott präsentieren, ist es die Menge von Fragen, die sie in uns erwecken, das wertvollste für den Dialog mit ihm. Zum Unterschied von dem gebräuchlichen intellektuellen Wachstum hat dieses in der Beziehung zu Gott fortschreitende geistige Suchen einen unbedingten Charakter, und jede wichtige Frage in ihm bleibt dialogisch offen für den Partner des Gesprächs, dessen Äußerung durch keine menschliche Hypothese vertretbar ist.
Hiermit wird das Fragen zum Sich-selbst-Übersteigen: besonders verfällt es nicht in rhetorische Fragen, die nicht fragen, sondern im voraus die Antwort wissen, noch entartet es in „Fragen“ des Negativismus, die nur ein Angriff sind, der sich jeglicher Einsicht verschließt. Es ist nicht möglich, eine Beziehung zur göttlichen Verborgenheit anzuknüpfen, wenn das Fragen nur eine destruktive Skepsis ist. Der Negativismus ist nicht fähig, in einem echten, erschließenden Sinn zu fragen. Er degradiert das Fragen zu einem selbstgenügsamen, mechanischen Bezweifeln, in dessen dogmatischer Ausweglosigkeit sich der Mensch durch die äußere Frageform eigenwillig jeglicher Antwort verschließt.
Einem echten Fragen ist die Offenheit, Aufnahmefähigkeit und sensible Wendigkeit eigen; auf Grund auch nur einer einzigen unerwarteten Andeutung wendet es sich zum tieferen Kontext – aber sehr vorsichtig, damit es die rezeptive Haltung nicht mit der Projektion der spontanen Erwartung vermische. Sein Zweifeln betrifft eher seine eigenen Zugänge – zugunsten der Entdeckung der Sache. Ein offenes Fragen nimmt grundsätzlich jegliches an, das in seinen Horizont eingeht, aber es ist bestrebt, es im Respekt vor dem unendlichen Hintergrund anzunehmen, der verborgen bleibt; es ist enthaltsam gegenüber den Neigungen zur Extrapolation von früheren Erfahrungen oder zum Behaupten von Gesichtspunkten, die im voraus die Rezeptivität begrenzen. Das alles befreit den Menschen zu einem möglichen Dialog.
Ein Fragen, das von der göttlichen Verborgenheit bestätigt und geleitet wird, ist zugleich jenes, das der Mensch als sinnvoll empfindet, unabhängig davon, ob es darauf eine menschlich formulierbare Antwort gibt. Es ist durch seine transzendierende Unbedingtheit, seine Zwecklosigkeit, seine Hinwendung über menschlichen Dispositionen sinnvoll. Die beredte göttliche Verborgenheit lässt so die dialogische Identität des Menschen sich entwickeln. Sie wartet mit ihren Antworten, bis die menschlichen Fragen ernst und rein geworden sind. Und auch, bis die menschliche Antwort auf die Frage, die umgekehrt dem Menschen von der göttlichen Verborgenheit gestellt wird, wahrhaftig und rein geworden ist: es geht mir tatsächlich um dich.
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Die entschwindende göttliche Verborgenheit ermöglicht also dem Menschen (der mit der ganzen offenbaren Wirklichkeit konfrontiert ist), zur eigenen Sicherheit zu gelangen, so dass er an erster Stelle (vor allem übrigen) die Beziehung zu Gott anknüpfen will – nur deswegen, weil Gott Gott ist, – und bereit ist, alles andere abzuschieben, um in dieser Beziehung jegliche Verwechslung und jeden Irrtum zu meiden und sich so den Weg zu ihr zu bahnen.
Durch seine Verborgenheit schützt also Gott seine Identität für den Menschen, der seine Sicherheit haben will, nicht dass irgendeine seine Sehnsucht nach solchem oder anderem im voraus vorgestelltem Absolutem irgendwie zufriedengestellt werden kann, sondern eine Sicherheit, dass er unabhängig von jeglicher Gestalt seiner eigenen Sehnsucht dem begegnet, der ein unadäquates, unendlich übersteigendes Gegenüber der menschlichen Sehnsucht ist, die Sicherheit, dass er Gott begegnet.
Diese Sicherheit kann man nur in der dialogischen Offenheit gewinnen: durch ein Wahrnehmen, das nicht ein Gegenüber der Erwartung sucht, sondern in der Hinordnung auf die göttliche Verborgenheit – dorthin, wo es nichts mehr gibt, wo nichts als nur Er selbst sein kann – nichts anderes will als nur das unverwechselbare unmittelbare göttliche Selbstmitteilen annehmen.
Die göttliche Verborgenheit gibt so dem Menschen die Chance, von seiner Seite her alles zu tun, was er zu tun vermag – was für ihn in seiner unantastbaren Freiheit niemand, nicht einmal Gott selbst tun kann – zugunsten dessen, dass zwischen ihm und Gott eine personale Begegnung zustande kommen kann.
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Wenn wir nicht motiviert sind, ohne jegliche Bedingungen Gott entgegenzukommen, dann kommt es bisweilen vor, dass wir in gewisser Weise auf unsere spezifisch menschlichen Möglichkeiten unserer Beziehung zu Gott resigniert haben: Gott kann sich zu uns nicht anders beziehen, als er sich zu anderen Geschöpfen bezieht – zu denjenigen, die nicht zur Freiheit disponiert sind. Er kann uns durch jegliches in der Welt beeinflussen, mittels der Tiefen unseres Seelenlebens, mittels unseres Glaubens, unserer Vorstellungen und unserer Gebete – aber er beeinflusst uns wie geistig Blinde, denen man opferbereit assistieren muss, damit sie sich nicht Schaden zufügen, denen man jedoch nicht mit Liebe in die Augen schauen und gegenseitig ein direktes Wahrnehmen (wofür wir als Personen geschaffen sind) erreichen kann, weil unser Gesichtskreis durch die Welt, unser eigenes Ich, unseren eigenen „Gott“ überschattet ist.
Die Verborgenheit Gottes ist auf diese Weise ein Ausdruck der Achtung der menschlichen Freiheit zur Unfreiheit entgegen. Ein Leben leben, das primär an „Gott“, an das eigene Selbst, an die Welt gebunden ist, bedeutet dabei nicht, an Gott ganz vorbeizugehen, sondern „nur“ die Entfaltung der persönlichen Beziehung zu ihm abzulehnen. Denn von ihr sind wir in der Mitte unseres Wesens betroffen. Dieses Angebot zu beantworten bedeutet, alle Fähigkeiten voll zu betätigen, die uns als Personen dazu gegeben worden sind, damit wir im Angesicht der göttlichen Verborgenheit Gott höchst überzeugend – wie nur er es verdient – kundgeben, dass es uns wirklich um ihn geht. Der Dialog mit Gott ist möglich nur als Dialog mit Gott.
Weil aber auch schon die Nicht-Gleichgültigkeit zu dem, was „mich“ irgendwie übersteigt, eine keimhafte Beziehung zur Verborgenheit Gottes ist, ist das Risiko und die Anforderung des Suchens nur für eine versteinerte auf sich selbst orientierte Haltung abstoßend. Die menschliche Ansprechbarkeit und Arglosigkeit, die mit dem „gewöhnlichen“ Leben verbunden sind, das empathisch nicht zu sich, sondern eher zu anderen Menschen orientiert ist, erreichen ohne grundsätzliche Probleme die Stufe der Freiheit, auf der der Mensch beginnt, sich im normalen Stil des menschlichen personalen Sich-Schenkens Gott gegenüber zu öffnen. Sich selbst nicht Hindernis zu sein – diese Aufforderung der Verborgenheit Gottes spricht leichter die Menschen an, die dauernd gewohnt sind außerhalb von sich zu leben – in Nicht-Gleichgültigkeit zu anderen und in der Freude des Entdeckens neuer Horizonte – in Aktivitäten, die von sich aus keinen Grund haben, an etwas Endlichem haltzumachen. Das Wahrnehmen des zum Dialog mit Gott so disponierten Menschen ist fähig, in Personen und Sachen nicht irgendeine Selbstbespiegelung, ein Material, Werkzeug, Idol oder eine Kulisse zu sehen, sondern einen möglichen Hinweis auf die „andere Seite“: es ist fähig, tiefer in die Wirklichkeit hineinzusteigen als die Sprache und die Bilder, durch die sie ausgedeutet wird – in sie insoweit hineinzusteigen, dass es im Puls ihres Lebens empfindsam jene beredte grundlegende sich-hingebende Wehrlosigkeit ihres Geschaffenseins erfasst: ihr Ausgeliefertsein dem verborgenen Gott. Dieses Wahrnehmen nimmt in allem die wesentliche Freude am Sein wahr, aber auch die wesentliche Not des Seins – zwei Dimensionen der trans-ontologischen Abhängigkeit der geschaffenen Wirklichkeit. Die geschaffene Wirklichkeit gibt damit freilich dem Menschen keine eindeutige Antwort auf seine Fragen nach Gott. Aber sie macht seine Fragen wesentlicher und tiefer. Der Mensch beginnt in ihr nicht für sich selbst, sondern – gerade als Mensch – auch für sie zu fragen.
7
Ein Schlüsselhindernis für das fortschreitende Öffnen der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit der göttlichen Verborgenheit gegenüber kann die Faszination der Welt der religiösen Symbole sein. Bevor nämlich der Mensch eine nähere Beziehung zu Gott anknüpft, weiß er faktisch nicht, was ein religiöses Symbol eigentlich symbolisieren soll, und ist deswegen in Gefahr, den Kontakt mit der göttlichen Wirklichkeit durch ein Produkt seiner von einem Symbol stimulierten Einbildungskraft oder Spekulation zu ersetzen. Nur ein Symbol, das seinen Sinn in seiner realen Beziehung zu Gott erhält, kann wirklich auf Gott hinweisen; ein Symbol, das ohne diese Beziehung, vor dieser Beziehung erlebt und verwendet wird, kann dagegen zum Anlass von willkürlichen Eindrücken und zum Ausgangspunkt von willkürlichen Konstruktionen werden. Es lenkt die Aufmerksamkeit von der göttlichen Verborgenheit ab und begrenzt die menschliche Beziehungsfreiheit. Es kann zum Idol werden: als ob dessen Aufnahme gleichfalls Aufnahme der symbolisierten Wirklichkeit wäre. Wenn der Mensch die symbolisierte Wirklichkeit nicht unabhängig vom Symbol kennt, kann er nicht wahrhaft erkennen, worauf sich das Symbol bezieht. Das Symbol ist für ihn nicht transparent, die Beziehung zu ihm wird zum Surrogat der Beziehung zu Gott. In solcher Weise schließt das Symbol den Menschen in der Welt der bloßen Gottesbilder ein und fasziniert seine Sicht mit der Evokation von bloßen archetypalen Vorstellungen. Der Mensch ist von den Produkten seines tiefsten Ich geblendet.
Die Verborgenheit Gottes ist ein Aufruf zum Überschreiten, Umgehen oder Abschieben aller Symbole. Man kann sagen, dass ein wahrhaft beabsichtigter Weg zu Gott erst hinter den Symbolen beginnt, hinter ihrer teilweise hinderlichen, menschlich bedingten Wirklichkeit. In der Offenheit zu Gott ist jegliches „vermittelnde“ Symbol eine vernachlässigbare Belegstelle. Seine Bedeutung wächst unproportional nur dann, wenn der Mensch sich dadurch gegen das eigene radikale Selbstöffnen der Beziehung zum göttlichen absoluten Anderssein verwahrt, die nicht symbolisierbar ist. (Dadurch unterscheidet sich Gott von jenen Instanzen, an die der Mensch selbstbezüglich seine fromme Sehnsucht binden kann.) Das Überschreiten der Horizonte von Symbolen ist also die grundsätzliche entgegenkommende menschliche Antwort auf die Aufforderung der göttlichen Verborgenheit.
Diese geistige Freiheit ist übrigens Bedingung von jeglichen dialogisch empfänglichen personalen Beziehungen, in denen alles Stellvertretende nur eine sekundäre Bedeutung hat. Während das Symbol selbst an sich zu dem Eindruck hinleitet, als ob das Ziel der Beziehung schon erreicht wäre, als ob der Mensch allein einen weiteren Weg nicht mehr wagen sollte – und ihn also in seiner menschlichen Welt gefangen hält –, ermöglicht der Kontakt mit der göttlichen Verborgenheit dem Menschen, sich von seiner automatischen inneren Willkür zu befreien, die sich auf ihr angebetetes Gebilde als auf die letzte Realität beruft. Man kann also sagen, dass das Symbol als Symbol nur dann begriffen werden kann, wenn es entbehrlich geworden ist: wenn wir wissen (oder wahrhaft feststellen wollen), was es symbolisiert, dann interessiert es uns nicht so sehr. Seine Rolle im echten Dialog mit Gott beschränkt sich am häufigsten auf die negative Stimulation: sich hinsichtlich der göttlichen Verborgenheit durch nichts anhalten oder in die Irre führen zu lassen; sich nicht mit der „Sicherheit“ des Symbols zufriedenzugeben, wenn für uns die Sicherheit der Beziehung offen steht.
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Es ist offensichtlich, dass man die Beziehung zur göttlichen Verborgenheit nur unter der Bedingung des fortschreitenden Stillwerdens des menschlichen Monologs anknüpfen kann, der unaufhörlich seine störenden und betäubenden Produkte zwischen Mensch und Gott hineinbringt und allem seine selbstbestätigende Ordnung aufzwingt. Eine Beziehung zu dem, der sich verbirgt, kann man letzthin nur in einem dialogisch offenen Schweigen anknüpfen. Dieses wartende Schweigen, als ein Werder des Suchens nach Gott in seiner Verborgenheit, ist ein Verzicht nicht nur auf Worte, die nur die schon bekannten Sachen erfassen, sondern auch auf inneres Erleben, das nur ein autonomes Geschehen ist, irreführend, wenn wir die absolute Heteronomie Gottes suchen. Die Fähigkeit des menschlichen Verstehens zieht auch sich selbst in Zweifel, wenn sie zu Gott hingewendet ist. Wir können ihn nur dann verstehen, wenn er uns so anspricht, dass wir verstehen.
Der Mangel an Bereitschaft zum Hinhören ist auch unserem Sich-Verlassen auf den Einfluss anderer Menschen proportional (dem wir unterliegen, besonders wenn ihre Vorstellungen und Interessen den unsrigen entsprechen). „Der Gottesglaube“ im spezifischen Sinn einer übernommenen Überzeugung, die wir nicht gern einbüßen möchten, ohne dass wir bereit sind zu fragen, ob sie uns wirklich zu Gott führt, ist dann typisch vom „Unglauben“ als dem Symptom seiner Nicht-Bezugnahme bedroht. Diese Überzeugung kann sich selbst überschreiten – nicht mittels eines idealisierten Begreifens ihrer Unsicherheit als einer „gewagten Tugend“, sondern durch eine realistische Frage danach, wem sie eigentlich glauben will; und wenn sie darauf besteht, dass es Gott ist, dem sie glaubt, ob es dann genügt, nur so zu glauben. Jemandem zu glauben setzt eine persönliche und unmittelbare Beziehung voraus. In der Beziehung zu Gott bedeutet es, über den Bereich der menschlichen Vermittlung hinauszugehen (deren Qualität wir selbst, ohne Gott, nicht imstande sind zu beurteilen), allein vor Gott stehen zu bleiben und die Bedingungen und die Ordnung seiner Wahrheit, seiner Selbstmitteilung anzunehmen. Erst dann können wir fähig werden – auch gegen unsere Vorstellungen und Interessen – nur dasjenige menschliche Vermitteln anzunehmen, das hinsichtlich der Beziehung zu Gott am wenigsten entstellend ist.
Das beharrliche Schweigen des verborgenen Gottes – die menschlichen Irrtümer kommentierend – ist dabei niemals ein gleichgültiges Schweigen. Es ist ein beredtes Schweigen einer Anteil nehmenden Person, die sich selbst zum taktvollen Warten auf die kommende Reife ihres winzigen Gegenübers verurteilt hat, bei dem es auch sehr lange dauern kann, bis es alle eigenwilligen Alternativen der Frömmigkeit, des geistlichen Lebens, der Ethik, der theologischen und kirchlichen Orientierung durchforscht hat, die vom Gesichtspunkt Gottes aus im voraus klar ungangbar erscheinen; dabei kann das Ergebnis, das der geduldig respektvolle Gott vom Menschen erreicht, auch eine Dauerabwendung sein. Es gibt aber keinen anderen Weg als dieses Drama, wenn in der gegenseitigen Beziehung Gott Gott bleiben und seine Größe nicht verlieren und der Mensch Mensch bleiben und seine Freiheit nicht einbüßen soll.
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Zugunsten der dialogischen Beziehung zu Gott ist es unentbehrlich, letztlich auch das einzusehen, dass das fortschreitende Gewinnen der Freiheit all dem gegenüber, das uns von Gott in seiner Verborgenheit trennt, nicht nur das betrifft, was wir fähig sind, zu beherrschen oder zu reflektieren (und das uns darum – mittels unserer Aufmerksamkeit – bisweilen bindet), sondern auch das, was uns beherrscht, ohne dass wir darüber reflektieren. Öfters ist es nicht dasjenige, dem sich die menschliche Person freiwillig unterwürfe, wenn sie es tatsächlich erkannt hätte.
Die Freiheit, zu deren Entfaltung uns die Verborgenheit Gottes anregt, ist die vollständigste menschliche Freiheit: sie umgreift nicht nur die freie Stellungnahme zur Eingliederung in die Welt, sondern auch zu eigenem Selbst. Diese Freiheit ist die innerste Loslösung von allen Bindungen, deren Erhaltung für den Menschen gerade nur eine Bedingung seines Überlebens, seiner menschlichen Beziehungen und seiner kulturellen Kommunikation ist – nicht etwas, worin der Mensch bedingungslos verankert sei. Nur die Beziehung zu Gott kann den Status des unbedingten Ausgangspunktes zu allem haben.
Im Dialog mit der göttlichen Verborgenheit vollzieht sich also jede Selbstreflexion im Kontext der zu Gott bezogenen Freiheit. Wenn wir unsere kulturellen, sozialen, physiologischen und ähnlich bedingten „Brillen, Filter und Raster“ erforschen, tun wir es mit Rücksicht darauf, dass zu ihren Qualitäten vor allem Der Andere etwas zu sagen hat, der gerne sich mit uns – durch sie oder ohne sie – verständigen möchte.
Der freien Interaktion mit der Verborgenheit Gottes ist deswegen auch eine finale Unabgeschlossenheit eigen. Es geht nicht darum, irgendeinen Teilzweck zu erreichen, sondern durch einen Selbstzweck – Offenheit des Dialogs mit Gott, zu der man sich jederzeit und ohne jegliche Vermittlung entscheiden kann – alle eigenen Ziele implizite beiseite zu stellen. Der Dialog ist ein personales Sich-Öffnen dem Partner gegenüber, mit dem gemeinsam ich mich entscheide. Wenn ich darauf fixiert bin, wozu ich mich im voraus und unabhängig von ihm entschieden habe, verschließt sich der Partner mir gegenüber – und mit ihm schließt auch der Dialog ab –, weil ich eine einbahnige Kommunikationssituation einleite und aus meinem personalen Gegenüber ein Werkzeug zum Erreichen meines Zieles schaffe.
Diese eigenwillige Orientierung ist öfters eine Folge der Versklavung durch die „Freiheit“, zu der dieses oder jenes künstliche Absolutum, einschließlich des eigenen Ich, den Menschen auffordert. Weil diese „Absoluta“ ein Teil der Welt bleiben, so ist die „befreiende“ Loslösung von allem, mit Ausnahme von ihnen, nur ein Eintreten in eine neue Unfreiheit, weil die Bedingtheit und Relativität dieser „Absoluta“, ihre Unterwerfung unter das Ganze des Weltzusammenhangs den Menschen zum bloßen Dienst an den Bedürfnissen ihrer horizontalen Reproduktion oder ihrem Wachstum verurteilt, die der immanenten Ordnung der geschaffenen Wirklichkeit unterliegen.
Die Selbstbefreiung für den Dialog mit der göttlichen Verborgenheit ist darum auch der Gegensatz des Selbstdurchsetzens. Sie ist nicht von der verachtenden Aggressivität anderen Menschen gegenüber begleitet, wie es die typische, durch irgendeinen finalen Welthorizont begrenzte Selbstbefreiung ist. Sie äußert sich wie eine sehr rücksichtsvolle Unfähigkeit, sich mit dem, was gegeben ist, zufriedenzustellen, und zugleich wie eine sehr mutige Fähigkeit, alles Eigene zugunsten eines Anderen zu opfern. Die Freiheit zu Gott ist die folgerichtige Wahl der Armut und Demut: Sie ist die Hingabe von allem, was wir haben und was wir sind, in die werdende Beziehung zu dem, „was“ wir niemals besitzen und niemals sein können. Das Maß unserer Freiheit ist hier mit der Größe dessen gegeben, wozu wir hinstreben. Ihre schwierige Leichtigkeit ist der Leichtigkeit der Kunst ähnlich. Ohne Beziehung zu Gott wäre sie ein unsinniges Spiel. Im Dialog mit dem verborgenen Gott ist sie dagegen der stärkste Ausdruck der menschlichen Wahrhaftigkeit.
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Das dialogische Suchen nach Gott in seiner Verborgenheit ist geistigen Erfahrungen ausgesetzt, die oft nur durch diese Orientierung zum Absoluten zugänglich sind, aber trotzdem irreführend sein können. Der Mensch verliert seinen tappenden Kontakt mit Gott nicht, sofern er es wagt, sich mit keiner religiösen Erfahrung zufriedenzugeben, die der absoluten Eindeutigkeit entbehrt: Sie ist z. B. tröstend, aber irgendwie begrenzt; oder sie ist faszinierend, aber führt in eine Abhängigkeit; oder sie ist durch ihre ekstatische Außerordentlichkeit schockierend, hinterlässt jedoch so etwas wie einen geistigen Katzenjammer. Soweit die Erfahrung solcherart unsicher und menschlich bezweifelbar ist, kann man sie für nichts anderes halten als für eine Erfahrung auf der geistig anregenden Ebene der bloß ambivalenten unvollkommenen Spuren Gottes: der Welt und des menschlichen Seelenlebens. Sie ist eine Erfahrung, die durch ihre Mehrdeutigkeit die menschliche Freiheit zum weiteren Suchen stimuliert, aber nichts absolut Verlässliches bringt. Sie kann auch gefährlich und irreführend sein.
Es scheint, dass man in diesem Unterscheiden des Relativen die Schärfe des kritischen Blicks in keiner Weise übertreiben kann – soweit er hinter und über allen bezweifelten geistigen Erlebnissen offen bleibt. Der Mensch nimmt sich hier wieder gleichsam den Boden unter den Füßen weg und schützt seine Freiheit des Durchblicks zu Gott, der absolut eindeutig einstweilen nur durch seine anziehende Verborgenheit redet. Von Angesicht zu Angesicht dieser geduldig andauernden Verborgenheit wird der Mensch inne, dass alles, was uns unsere geistige oder religiöse Erfahrung bietet – von Gefühlen, Erlebnissen und Vorstellungen an, über tiefere Einsichten der metaphysischen Zusammenhänge bis zu den Höhepunkten der mystischen Zustände oder Visionen – vorerst von der Selbsttätigkeit unseres bewussten und unbewussten psychischen Lebens – sei es des „gesunden“ oder des „pathologischen“ – herkommen kann und dass das Festhalten an etwas von diesem unser weiteres Suchen der Beziehung paralysiert und sogar zu einer gewissen idolatrischen Quelle der Selbstzufriedenheit und des Hochmuts oder zu einer Analogie der Drogenabhängigkeit werden kann: Zuerst befriedigt es die menschliche Sehnsucht nach Seligkeit (oder auch Macht), später nur noch ein primitives ängstliches Bedürfnis nach geistiger Sicherheit. Die Absage an die „nicht-zufriedenstellende“ Beziehung zu dem sich verbergenden Gott führt so zum geistigen Autismus, zum Hineinfallen in die beziehungslose Stereotypie der geistigen Täuschungen und Spiele. (Es kann sogar geschehen, dass der Mensch diesen seinen Zustand reflektiert, aber trotzdem das kritische Verhältnis dazu durch ein bewunderndes Verhältnis ersetzt. Im Augenblick des freiwilligen Geratens in diese Falle, in der die Fiktion beginnt, für die einzige und tiefste Wirklichkeit gehalten zu werden, endet jegliches Suchen, und an Stelle der Beziehung zu Gott tritt die Selbst-Gefangennahme im phantastischen Irrgang der Psychose.)
Aber wenn wir in der Beziehung zum verborgenen Gott es auch schaffen, verschiedenen Erlebnisabwegen auszuweichen, werden uns die „religiösen Erfahrungen“ nichtsdestoweniger mindestens zerstreuen: Wären sie alle auch ein „Geschenk Gottes“ (was immer problematisch ist), wären sie fortwährend ein bloßes Geschenk. – Zugleich ist es offensichtlich, dass es an Gott – zum Unterschied von seinen Karikaturen – nichts gibt, was auch der schärfste kritische Blick treffen könnte. Was kritisierbar oder bezweifelbar ist, ist nachweislich eine Angelegenheit des Menschen und seiner Welt. Die menschliche Absetzung „Gottes“ ist daher keine Beeinträchtigung Gottes. Gott gibt durch seine Verborgenheit eine Chance sowohl der freiwilligen menschlichen Wahl von jeglicher (kritisierbaren) Selbsttäuschung als auch der freiwilligen Ernüchterung zur Frage, ob tatsächlich alles zum verlässlichen Unterscheiden unternommen worden ist, ob es in der „Angelegenheit Gott“ wirklich nur um eine tote Nichtexistenz gehe oder vielmehr um eine Verborgenheit, die eine Unabhängigkeit und Transzendenz signalisiert, genau eine solche, die nur Gott eigen sein kann.
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Die Relativierung der spontanen selbstbezüglichen Perspektiven und das Wachstum der sensiblen Beziehung zur göttlichen Verborgenheit kann dem Menschen von außen her durch den trivialen Akt des Gehorsams erleichtert werden, der oft eine Voraussetzung der grundlegenden individuellen Erfahrung des Durchbruchs aus der Machttotalität des eigenen Wissens und Wollens zur Offenheit gegenüber der „Gewalt“ eines Anderen ist, dessen Ansprüche nicht immer ganz begreiflich sind.
Zu dieser Art der Selbstbefreiung von sich kann man bewusst auch die religiösen und kirchlichen Autoritäten nützen. Für viele Menschen wird gerade dieser von außen her unterstützte und stimulierte Weg zum realen und direkten Weg zum verborgenen Gott, genau deswegen, weil er etwas auferlegt, was der Mensch sich selber nicht auferlegen würde. Seine Glaubenskanons und Disziplinargesetze haben einen Beziehungssinn – sie sind durch aufmerksames tausendjähriges Aufschichten der dialogischen Erfahrungen mit Gott entstanden. Dank der historischen Solidarität der Generationen kann man sich auf dem Weg zu Gott jederzeit manche Umwege und Abwege ersparen.
Zu einer Sackgasse kann der Gehorsam nur dann werden, wenn die Autorität im Gegenteil ihre „Macht“ nur von ihrem individuellen Willen ableitet, den sie eventuell unterbietend gerade durch jenen selbstbezüglichen Automatismus regelt, dessen sich zu entledigen sie dem anderen Menschen (und sich) zu helfen hätte. Dann verliert der Gehorsam für den Gehorchenden seinen instrumentalen Charakter und wird zu einer naiven „Lebenserfüllung“. Er führt nicht mehr zu Gott, sondern zu einer bequemen „opferbereiten Hingabe“ an eine führende geistige Persönlichkeit. Der Mensch gewinnt hier gleichsam einen Anteil an ihrer angenehmen und faszinierenden Macht – aber verliert seine (freie) Seele.
Diese Gefahr droht nicht so sehr, wenn wir „nur“ unpersönlichen Religionsregeln oder Dienern einer „abstoßenden“ kirchlichen Institution gehorchen, denen es nicht daran gelegen ist, ob wir sie in erster Linie „lieben“. Diese äußere Stütze der menschlichen Freiheit nimmt dem Menschen nicht seine eigene Verantwortung. Sie stellt nicht das volle Ersparen der selbständigen inneren Kämpfe um die Beziehung zur göttlichen Verborgenheit dar; sie gewährt ihnen jedoch kultivierende objektive Anregungen und realistische Beziehungslinien, die – in dem Maß, als der Mensch bereit ist, sie freiwillig auszunützen – das zu relativieren und darüber hinauszuwachsen helfen, was in uns der losgelösten und produktiven Beziehung zur anspruchsvollen Verborgenheit Gottes hinderlich ist.
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Aus der tiefen Unsicherheit, die wir vor der göttlichen Verborgenheit verspüren, folgt niemals ein resignierender Schluss. Der Dialog basiert in einem gewissen Sinn auf der Unsicherheit: Der Andere darf in ihm jederzeit unvorhergesehen die ganze Situation verändern. Wenn Gott den Menschen einstweilen durch seine Anziehung und Verborgenheit angesprochen hat, dann wird die habituelle Ablehnung der Absolutsetzung von jeglichem Nichtabsoluten zur Grundhaltung, die einen weiteren (unvorhergesehenen) Dialog ermöglicht: Sich der göttlichen Verborgenheit zu öffnen, ihre Aufforderung zu beantworten bedeutet, mit der göttlichen Anziehung an dem Erlangen der geistigen Unabhängigkeit vom Wirken jedwedes anderen als Gottes mitzuarbeiten.
Zu Beginn dieses Bestrebens ist der Mensch gleichsam in einer Zange seiner inneren und äußeren Welt eingeklemmt. Wer sich nicht entschlossen hat, aus diesem Eingeklemmtsein herauszuschauen, kann die Entsprechung der beiden Zangenarme vielleicht auch als eine esoterisch heilige Harmonie des Mikrokosmos mit dem Makrokosmos glorifizieren. Der Dialog mit Gott zielt jedoch außerhalb dieser Entsprechung, außerhalb des idealisierten Ganzen der äußeren und der inneren Welt ab. Auf dem Weg zur göttlichen Verborgenheit ist es möglich, auch die „abgewendete“ Seite der Welt wahrzunehmen, jene Seite, die mit nichts von dem korrespondiert, womit der Mensch sich positiv oder negativ identifizieren kann; auch ein tiefes Erlebnis der Vergeblichkeit, die in der Tiefe des „kosmogonischen“ Monologs des gnostischen „Gottes in uns“ waltet; und endlich auch die universale Leere, das alles umgreifende Nichts, das gleichsam eine „Scheidewand“ oder einen „Graben“ zwischen einerseits jeglichem menschlichen und weltlichen Geschehen und andererseits der Verborgenheit Gottes bildet. Eine „Scheidewand“, die nicht irgendwo auswärts steht, sondern in allem als die wesentliche Grenze alles Geschaffenen vorhanden ist, und einen „Graben“ als den unsicheren Lebensbereich, mit dem das Leben Gottes keine natürliche Kontinuität hat und mit dem es von seiner alles durchdringenden Transzendenz aus kommuniziert.
Die Verborgenheit Gottes ist ähnlich wie die übrigen Expressionen Gottes ein Ausdruck der Asymmetrie, in der die Beziehung zwischen Gott und Mensch vor allem durch die Kontinuität der gegenseitigen persönlichen Zuneigung getragen wird, die allein imstande ist, den Abgrund ihres gegenseitigen Andersseins und somit auch den Abgrund dieses Nichts, „aus dem alles geschaffen ist“, zu überbrücken. Das Nichts – in dem die Welt schwebt und von dem sie durchdrungen ist – kann für die menschliche Beziehung zur göttlichen Verborgenheit eine Grundstütze sein. Es ist nicht das menschlich vermittelte, nihilistische, destruktive, absurde „Nichts“; es gibt sich kund als reinigend, beruhigend, befreiend und hoffnungsvoll. Es ist nicht von belastender, niederstoßender Nichtigkeit voll – wie bloße Vorstellungen des Nichts –, es ist groß, leer und rein, entlastet und emporhebend. Seine Dunkelheit ist transparent. Es ist nicht ein in sich selbst ruhendes Nichts, sondern ein anderswohin verweisendes Nichts. Nicht ein Nichts als definitive Antwort, sondern ein Nichts als offene Frage. Diese Leere ist für die „Brücke“ der Beziehung des Menschen zur göttlichen Verborgenheit die stärkste Stütze: Durch den Eintritt in diese Leere kann man schon nicht nur die oder jene einzelne geistige Selbsttäuschung, den oder jenen Irrlichtwunsch, die oder jene einzelne Projektion unseres Unbewusstseins beseitigen – wo an deren Stelle immer weitere und weitere treten –, sondern die Arbeit unserer blinden monologischen Spontaneität im Ganzen ausschließen. In der Sicherheit dieses von Gott durchleuchteten Nichts kann man den eigenen Monolog bis auf den Grund durchschauen und in einer gewissen nicht mehr zurückzunehmenden Übersättigung an seiner farbigen Stereotypie sich zum Hinhören auf Gott befreien. – Dieses in allem anwesende trans-ontologische Nichts sollte der Gott suchende Mensch nie mehr vom Horizont seines Bewusstseins verlieren – als eine verlässliche „Umgebung“ des Dialogs, die nicht entstellt und eine ungestörte Begegnung ermöglicht.
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Durch seine zurückhaltende Verborgenheit (dadurch, dass er verborgen anziehend, nahe, heilig und liebevoll ist) löst Gott nach und nach alles auf, was auf der menschlichen Seite die dialogische Beziehung hindert oder was dem Menschen unmöglich macht, auch andere göttliche Expressionen voll wahrzunehmen. Die Verborgenheit Gottes ist für uns (wenn wir für sie offen sind) der beleuchtende und bewertende Hintergrund von allem. Gerade dadurch, dass Gott sich der Aktivität enthält, kann er uns – wenn wir wollen – fest und sicher führen: Wir sind nämlich imstande, feinfühlig zu unterscheiden, wann wir eine lebendige Beziehung zu ihm verlieren – wann seine Ansprüche für uns nur eine abstrakte und nichtssagende, abstoßende Forderung sind. Die derart abstrakt aufgefasste „göttliche Verborgenheit“ kann zu einem bloßen Alibi des menschlichen Sich-Einrichtens nach eigener Art werden. Will aber der Mensch ihre grundlegende persönliche Anrede hören, kann er das Maß ihrer lebendigen Zugänglichkeit als den Vergleichshintergrund wahrnehmen, der, obwohl er selbst dem menschlichen Begreifen entgeht, alles in der Beziehung zu Gott zu bewerten anbietet und ermöglicht, alles, dem wir begegnen und was wir tun. Sie hilft uns so jene Wege frei und gerade zu machen, auf denen ein weiterer Dialog mit Gott möglich ist.
Nähe
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Der Zeitpunkt, wann unser innerer Bereich endlich mit der direkten Äußerung der göttlichen Nähe kompatibel geworden ist und wann uns diese Nähe zum ersten Mal anspricht, scheint unberechenbar zu sein. In der Logik des Dialogs antwortet Gott jedoch sehr genau mit der Äußerung seiner Nähe erst auf jenes menschliche Suchen, womit er sich wahrhaft angesprochen fühlt: welches sich nicht mit etwas Geringerem zufriedenstellen lassen will, welches alle übrigen Beziehungen in der unmittelbaren Beziehung zu Gott zu gründen wünscht – ohne den der suchende Mensch alles als sinnlos erlebt und für den er bereit ist, auf alles zu verzichten und alles zu bestehen. Für ein anderes Suchen, das an Gott indessen monologisch vorbeigeht, ist übrigens der explizite Ausdruck seiner Nähe überhaupt nicht wahrnehmbar. Die Feinheit dieser Anrede steht im Kontrast mit allen Ersatzmitteln, die sich dem Menschen während seines ganzen vorigen tappenden Weges anbieten können. Darum werden auch diejenigen, denen es willkommen ist, dass Gott „schweigt“, nicht gewaltsam mit etwas konfrontiert, was sie vorher freiwillig ablehnen.
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Erst die Expression der Nähe überwindet ganz die Anonymität der Beziehung zwischen Mensch und Gott: Gott teilt dem Menschen seine Identität der absoluten Person mit. Dieses Mitteilen ist so tief und rein, dass es mit keiner anderen Kommunikation interferiert, und so nüchtern und selbstverständlich, als ob es schon ewig bestünde. Es bietet dem Menschen die freiwillige Möglichkeit an, Gott „mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit ganzer Kraft“ zu lieben. Es ist eine Zuneigung, die man nur Gott schenken kann und die niemand Anderer als Gott im Menschen hervorzurufen imstande ist. Darum schließt sich die Liebe zu Gott mit anderen Arten der menschlichen Liebe nicht gegenseitig aus; sie kann im Gegenteil ihre sie innerlich durchdringende Potenzierung oder Stütze sein.
Auch diese von der göttlichen Anregung entstandene Liebe kann allerdings auf der menschlichen Seite monologisch verkehrt werden: Die sekundäre „Verlassenheit von Gott“ pflegt in manchen Fällen eine Enttäuschung irgendwelcher neu entstandenen nicht rein dialogischen Erwartungen zu sein oder kann auch als Folge der Nicht-Bereitschaft eintreten, irgendwelche Lebenskomplikationen zu sehen und zu lösen, die angefangen haben, sich der göttlichen Nähe in den Weg zu stellen. Der Mensch hört nicht einmal im Dialog mit ihr auf, die Freiheit zum Aufgeben der anspruchsvollen Beziehung zu Gott zu haben – aber auch die Freiheit, diese Beziehung von neuem anzuknüpfen, weil Gott nicht aufhört, dem Menschen nahe zu sein.
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Durch seine Nähe – anziehende, verborgene, heilige und liebevolle – überschreitet Gott entgegenkommend das Nichts zwischen sich und dem Sein, das er geschaffen hat und dem er deswegen unmittelbarer nahe sein kann als es sich selbst ist. Die göttliche Nähe geht so voraus und ermöglicht alle dialogischen Beziehungen, in denen der gegenüber Gott offene Mensch sich bemüht, die Wirklichkeit zu kontaktieren, wie sie ist. Sie stellt für den Menschen eine geistig „berührbare“ Stütze zur potentiellen Losbindung von allen Determinationen dar, die sich von seinem Eingekeiltsein in der übrigen Schöpfung ergeben. Der Dialog mit der göttlichen Nähe bringt somit dem Menschen die Möglichkeit, in der göttlichen Perspektive nicht mehr als bloßes „Objekt“ zu figurieren – als unpersonales Geschöpf, das sich da Gott fügt, dann sich wehrt, ohne zu wissen, was es tut –, sondern sich an seiner Selbstbestimmung anders zu beteiligen: in der freiwilligen persönlichen Offenheit gegenüber den göttlichen Sehnsüchten und Absichten, deren absolut konstruktives Gepräge zum tiefen Einklang und zur schöpferischen Mitarbeit auffordert (aber nicht zwingt). Das personale Sein und die Fähigkeit zum Dialog sind auf der menschlichen Seite die gegebene Ausgangsvoraussetzung jeglicher weiteren Entfaltung der unbedingten und unvermittelten Beziehung zu Gott – der Beziehung, die selbst unabhängig von der Existenz von allem ist, was außer dem Menschen und im Menschen den Status des bloßen Unpersonalen hat. Die Bedingung der Dauerhaftigkeit dieser Beziehung ist gerade die Dauerhaftigkeit der menschlichen Annahme der göttlichen personalen Nähe als dessen, das von seinem absoluten Außerhalb her vor jeglicher menschlichen Beziehung hereinkommt – einschließlich der Beziehung des Menschen zu sich selbst – und dadurch das ganze menschliche Leben dem Dialog öffnet, der von Grund auf alle Beziehungen und die konkrete Identität der menschlichen Person verwandelt.
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Auch in seiner umstürzenden Nähe hört Gott nicht auf, für uns ein Verborgener zu sein. Darum kann man ihr dialogisches Wirken auch schon dadurch unmöglich machen, dass man zwischen sich und sie seine „sichtbare“ Imagination stellt. Dadurch wird die göttliche Nähe nicht mehr wahrgenommen, sondern eher beschattet, umhüllt, abgeschoben oder verjagt – und zuletzt auch ersetzt – durch den Gegenstrom spontaner Gebilde unseres Seelenlebens. Als ob sie nur eine Anregung zu unserer monologischen Selbstproduktion sein sollte – in der Rolle eines Steins, der durch seinen Fall nur den Schlamm eines Sees aufwirbelt. Die Nähe Gottes ist jedoch ein Angebot seines Andersseins, das man nicht anders als in der Atmosphäre eines nüchternen und gereinigten Wahrnehmens aufnehmen kann. Wenn wir schon durch die „provokative und nicht-zufriedenstellende“ göttliche Verborgenheit aus uns selbst wortwörtlich herausgelockt worden sind, war es offensichtlich nicht deswegen, dass wir uns von Angesicht zu Angesicht der „tröstenden“ göttlichen Nähe wiederum mit der bequemen Rückkehr zu uns zufriedenstellen.
Der Weg aus der Enttäuschung, die nach einem solchen überflüssigen monologischen Rückschritt notwendig folgt, wird dem Menschen durch die liebende göttliche Nähe selbst erleichtert. Wir können sie uns jedoch von unserer Seite her durch eine weitere Vorstellung versperren, dass Gott uns verlassen hat (und nicht wir ihn). Diese Vorstellung kann im Dialog mit Gott viele fließend ineinander übergehende Bedeutungsvarianten haben: von dem Hilferufen bis zur verbitterten Ablehnung. Darin ist die Vorstellung der Verlassenheit – mit ihren monologischen Kriterien – für die Beziehung zu Gott gefährlich.
Der Dialog mit der göttlichen Nähe hat also seine spezifischen Weisen der Bedrohung.
(A.) Gerade die Sicherheit der Beziehung kann sich unwillkürlich von dieser Beziehung trennen und sich selig in sich selbst verschließen. In der selbsttätigen Beharrung des Bewusstseins der Nähe Gottes kann sich der Mensch von der Nähe Gottes absondern. Ohne es zu wollen – oder gerade deswegen, weil er (monologisch) nicht will. Dann, wenn er am meisten der göttlichen Nähe sicher ist, gibt auch seine Vorsicht gegenüber äußeren störenden Faktoren und Einflüssen nach, denen er unreflektiert unterliegen und es erst später erkennen kann.
Zu diesem Verlieren der menschlichen Freiheit und dem Unterbrechen des Dialogs mit Gott kommt es nur bis zu der Zeit, wann der Mensch genügend Lebenserfahrungen gesammelt hat, um zu erlernen, vom Gesichtspunkt der Bedingungen des Wahrnehmens der göttlichen Nähe aus sich selbst und die Welt zu verstehen. Weil aber das Eingehen in die Umwege und Sackgassen in der sich entfaltenden Beziehung zur göttlichen Nähe nicht mehr etwas ist, was der Mensch freiwillig gewählt hätte, kann ihm Gott aktiv helfen, ohne dadurch seine menschliche Freiheit zu gefährden. Verliert sich also der Mensch aus der göttlichen Nähe unabsichtlich, sucht ihn Gott selbst; und ist der Mensch irgendwo hilflos eingekeilt oder gefangengenommen, weigert sich Gott nicht, ihm zu helfen, seine innere Freiheit und den Sinn für den dialogischen Kontakt zu erneuern. – Weil Gott imstande ist, den Menschen von jeglichem Ort zu sich zu führen, erkennt der Mensch die verschiedensten Wege zu ihm und damit auch die verschiedensten Aspekte seiner Nähe.
(B.) Für die Beziehung zur Nähe Gottes kann auch dieses unwillkürliche Residuum der menschlichen monologischen Orientierung eine Bedrohung sein: Der Mensch klammert sich nicht an die imaginäre „Sicherheit“ der göttlichen Nähe, sondern im Gegenteil an ihre imaginäre „Unsicherheit“. Je überzeugender die Augenblicke des Erkennens der göttlichen Nähe sind, ein umso größerer Irrtum scheinen sie nachträglich zu sein. Es ist das Aufgeben jeglichen Bestrebens, etwas monologisch zu beurteilen, das eine grundsätzlich produktive Haltung gegenüber dieser undialogischen Unsicherheit bildet. Wenn der Mensch die Unsicherheit von der göttlichen Nähe nicht-selbstbezüglich (ohne Furcht um sein eigenes Selbst) aufnimmt, kann er von ihr eine liebevolle bezugnehmende Sicherheit für Gott schaffen: Sicherheit, dass der Mensch selbst die eigene Sicherheit aufgibt (deren zueignende Gebärde Gott oft bedroht und verjagt), weil für ihn die göttliche Sicherheit Vorrang hat, Sicherheit darüber, dass der Mensch durch seine selbstbezüglichen Besorgnisse und äußerlichen Zweifel in sich die Liebe nicht auslöscht, die Gott in ihm durch seine Nähe hervorgerufen hat, und dass er auf Grund dieser Liebe auf seinem Weg zu Gott und mit Gott beharrt.
(C.) Die eventuelle Buntheit der begleitenden und zusätzlichen Reaktionen auf die Begegnung mit der göttlichen Nähe kommt ganz auf das Kerbholz des Menschen. Die göttliche Nähe selbst ruft in dem Menschen nur die absolute und unbedingte Liebe hervor. Diese ist in ihrer anfänglichen Gebrechlichkeit durch überflüssige und vom menschlichen Innen und Außen unvorsichtig aufgenommene Informationen und deformierende Einflüsse sofort verletzlich. Die menschliche Tiefe, von der diese Liebe zu Gott ausgeht, ist im Augenblick der gegenseitigen Begegnung transparent: Gott und der Mensch können bis auf den Grund der Seele schauen, die mit der Reinheit des göttlichen Wirkens kompatibel geworden ist. Die Nähe Gottes spricht das integrierte, freie, nüchtern gestimmte Ganze unseres Daseins an. Die ekstatischen oder affektiven Reaktionen pflegen eher ein chaotisierender Angriff auf die personale Würde Gottes und des Menschen zu sein. Sie machen darauf aufmerksam, dass die kritisch selbstreflektierende Wachheit der menschlichen Beziehung zur göttlichen Verborgenheit noch nicht eine habituelle Eigenschaft geworden ist, so dass „verunreinigende“ Residuen der menschlichen Abhängigkeiten unnötige Verwirrung hervorrufen können.
Die Wahrscheinlichkeit der Bedrohung der persönlichen Beziehung zur göttlichen Nähe durch undialogische Tendenzen ist am größten zu Beginn des Eintretens der göttlichen Nähe in den menschlichen Horizont, wenn der Mensch die erste Erfahrung mit deren Feinheit hat. Für den, der einstweilen nicht weiß, wie er sich gegen verschiedene Bedrohungen zu wehren hat, kann das Selbstmitteilen der göttlichen Nähe durch jegliches beeinträchtigt werden, wodurch man sich an diese exklusive Situation zweckhaft anschließen und sie in die für sie vernichtenden Kontexte und Interpretationen hineinziehen kann. Die Äußerung der göttlichen Nähe kann gleichsam zu einer „Beute“ der psychologischen, sozialen und intellektuellen Bedürfnisse und Interessen des angesprochenen Menschen werden und paradoxerweise deren Tendenzen zur eigennützig aufgefassten menschlichen Sicherung, zum Prestige und zur Möglichkeit des neuen „Wissens“ u. ä. stärken. Diese Stilisierung der Begegnung nach Maßstäben der Selbstbestätigung der menschlichen Immanenz ist ein unwillkürlicher Versuch des Missbrauchs. Nach solcher Unterbrechung des Dialogs kann man rückblickend entdecken, dass sie durch Mangel an Unterscheidung zwischen dem Wirken der göttlichen Nähe und den Nebeneffekten verursacht worden ist. Emotionen, Vorstellungen und Überlegungen, die zwischen Mensch und Gott getreten sind, während sie eher abgeschoben oder als bloßes Material der selbsthingebenden menschlichen Antwort dienen sollten, sind zur Stütze des spontanen Versuchs der Aneignung dessen geworden, was man sich nicht zu eigen machen kann.
Der Dialog mit der Nähe Gottes hat darum eine scheinbar paradoxe Natur: Gott ist uns nahe, wenn wir gleichzeitig seine „Entfernung“ (Freiheit, Anderssein, absolute Transzendenz) annehmen; in der verschlossenen Immanenz können wir nur unsere eigene Vorstellung („Bild“, „Idee“) aufrechterhalten. Darum ist die Beziehung zur göttlichen Nähe eine Sicherheit der Möglichkeit des Nachfolgens, nicht eine Sicherheit des Besitzens.
5
Der Dialog mit der göttlichen Nähe ist ein reiner personaler Kontakt – er vollzieht sich außerhalb jeglicher kategorialen und archetypalen Strukturen des menschlichen Denkens und Lebens. Er wirft auf sie sein Licht und zieht sie in den Prozess des dialogischen Geschehens hinein.
In ihm sucht der Mensch, der vorläufig einer konkreten religiösen Verankerung entbehrt oder aus ihr durch die Beziehung zu Gott innerlich herausgerissen worden ist, vorsichtig (wieder) eine menschliche Auslegungs- und Lebensstruktur, die mit der Beziehung zur göttlichen Nähe am meisten kompatibel und ihrem Einfluss am meisten zugänglich wäre. Er versucht also, seine Begegnung mit Gott in verschiedenen religiösen und geistlichen Rahmen probeweise zu interpretieren – deren Eignung sich dadurch bewahrheitet, dass der Mensch an sich selbst erprobt, ob sie überhaupt oder in welchem Maße der göttlichen Nähe offen sind.
Dieses Suchen, in dem der Mensch auch mit einem möglichen vorübergehenden Verlust der göttlichen Nähe experimentiert, um (mit der Exklusionsmethode) die Struktur zu finden, die mit ihr am meisten im Einklang steht, vollzieht sich als eine probeweise innere Selbstidentifikation mit konkreten Religionen und Spiritualitäten. Der Mensch kann sich eine Zeit lang z. B. als Buddhist fühlen oder als Neuheide oder als Christ – bis er durch existentielle Komparation feststellt, dass z. B. die schamanistische geistige Bezugnahme sich nicht höher wendet als zum Ganzen der geschaffenen Wirklichkeit (einschließlich ihrer unsichtbaren Komponenten und ihres inneren Geistes), dass der Buddhismus der beste Weg zum Begreifen der offenen Leere jeglicher Schöpfung ist, aber dass das Christentum (auch im Vergleich mit weiteren Weltreligionen) eine sehr durchgearbeitete Grundlage gerade zum personalen Dialog mit Gott ist und diesem Dialog gegenüber sehr sensibel sein kann.
Über die Vorteile dieser oder jener Religion oder dieses oder jenes geistigen Weges kann man einen fruchtbaren zwischenmenschlichen Dialog führen. Wenn jedoch der Mensch seine Religion in der Beziehung und aus der Beziehung zur göttlichen Nähe sucht, schaut er vor allem zu ihr hin: zu dem, welche Struktur des menschlichen geistigen Lebens Gott am nächsten ist, welche für ihn am meisten durchgängig ist und auf welche er selbst am meisten wirkt. So kann man seine religiöse Verankerung finden und sich in ihr aus der göttlichen Nähe nicht entfernen.
6
Die Nähe ist implizit der höchst hingegebene Ausdruck des göttlichen Vertrauens dem Menschen gegenüber. Die göttliche Macht, die durch die Anziehung Gottes und teilweise auch durch seine Verborgenheit eher mittels ihrer hinreißenden Souveränität wirkt (nur durch den Respekt vor der menschlichen Freiheit begrenzt), ist im Gegenteil durch die göttliche Nähe dadurch unwiderstehlich, dass sie ihre Erhabenheit vertrauensvoll allen Risiken der unberechenbaren nahen Beziehung zu dem Geschöpf, genannt „Mensch“, aussetzt.
Von dieser seiner vertrauenden Nähe aus spricht Gott zart, aber nachdrücklich das Zentrum des menschlichen Wesens an (das vor allem durch die Liebe zu ihm dynamisch geeinigt ist) und legt ihm seine grundlegenden Bitten oder Forderungen ans Herz, durch deren Nicht-Beachten oder durch Gleichgültigkeit ihnen gegenüber man die göttliche Nähe zum Rückzug zwingen kann: das Gebot der Liebe und Gerechtigkeit. Auch wenn uns (als menschlichen Wesen) der grundlegende Sinn für sie schon natürlich eigen ist, sind sie in ihrer vollen Dringlichkeit gerade erst in der Beziehung zur Nähe Gottes hörbar und verstehbar. Nur wenn wir Gott über alles lieben, sind wir überhaupt erst fähig, menschliche Verhältnisse mit seinen Augen zu sehen und uns seinen Imperativen frei zu unterstellen; die göttliche Nähe gewährt dem Menschen die zur ruhigen und ganz folgerichtigen ethischen Reflexion nötige dialogische Stütze. In der göttlichen Nähe merkt der Mensch, dass die Erhaltung der ethischen Ordnung (soweit er fähig ist, sich frei zu entscheiden) die absolute Priorität vor dem Erreichen jeglichen Lebensziels hat. Mit anderen Worten – kein Ziel steht ihm dafür, dass er um dessentwillen die zerbrechlichen und feinen Regeln verletzt, die ihm von Gott auferlegt sind. Jegliches, auch relativ Großes, um den Preis des Verlustes der göttlichen Nähe zu erreichen, hält er für die größte Absurdität.
Derart hilft Gott dem Menschen, seine Existenz zu erhellen: seine Persönlichkeit von jeglicher Dichotomie der „Vorderseite“ und der „Rückseite“ zu befreien; er hilft ihm, das zu tun, was nicht nur vor dem begrenzten Horizont dieser oder jener Menschen standhält und nicht nur vor der vernebelten Sicht oder Kurzsichtigkeit des eigenen Gewissens, sondern vor allem vor der Schau Gottes. Nur das sind – für den Menschen, dem es an der Nähe Gottes gelegen ist – gute Taten. Seine Lebensenergie auf diese zu konzentrieren bedeutet, (im Dialog mit Gott) ein Werk zu schaffen, das groß ist, indem es gut ist.
Den Menschen, die das ethische Gesetz oder die ethische Ordnung außerhalb dieses personalen Kontextes wahrnehmen – und sie deshalb für eine bloße tote Letter halten, für ein Werkzeug der Unterdrückung oder für einen bedingten Konsensus – kann man gerade durch jene ethische Handlung ein Zeugnis von deren Grund geben, die nicht einmal in den ungünstigsten Situationen ihre Kohärenz, Folgerichtigkeit und innere Kraft verliert und ohne Worte ihre tiefste Motivation ausstrahlt – mit Gott zu sein.
Besonders jedoch die Menschen, denen eine solche Handlung entgegenkommt, erkennen ohne Hemmungen intuitiv diese ihre Motivation: Sie sehen, dass unsere Liebe und Gerechtigkeit direkt und voll zu ihnen hingeordnet ist; dass sie durch Nebenabsichten nicht gekrümmt ist; dass sie durch unseren Vorteil nicht bedingt ist; dass sie keine Reziprozität verlangt; dass sie auch zu Opfern fähig ist, d.h. dem „fremden“ Du vor dem eigenen Ich Vorrang gibt.
Die ethische Ordnung zu verraten würde bedeuten, das göttliche Vertrauen zu verraten – die Beziehung der göttlichen Nähe abzulehnen. Wenn wir jedoch in der Liebe nur gegen unseren Willen versagen, entfernt sich Gott nicht, sondern er hilft uns.
7
Die göttliche Nähe teilt sich einzelnen Personen nicht nur um ihrer selbst willen mit, sondern sie hat die Tendenz, sie gegenseitig zu verbinden und durch sie andere Menschen anzusprechen. Die göttliche Nähe führt zwar den Menschen zum empathischen Bewusstsein der Zusammengehörigkeit mit der gesamten übrigen Schöpfung, aber vor allem zur Nähe gegenüber anderen Menschen; zu einer universalen, aber differenzierten und manchmal auch paradoxen (weil eine Trennung hervorrufenden) Nähe, weil sich das menschliche Leben in der Nähe Gottes ungewöhnlich wandelt: Der Mensch kann nicht mehr nur für sich selbst existieren und nur sich selbst ausdrücken, sein Dasein in der Welt wird zum Zeugnis. Die unüberwindliche Unwillkürlichkeit des Zeugnisses von Gott ist die Folgeäußerung der Durchdringung des ganzen menschlichen Lebens vom Dialog mit der göttlichen Nähe.
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Die Nähe Gottes setzt den Menschen der unmittelbar wahrgenommenen Übermacht von allem aus, wodurch Gott Gott ist. Trotz dieser unendlich großen Übermacht macht Gott den Menschen nicht untertan und macht den menschlichen Willen nicht überflüssig. Im Dialog mit der göttlichen Nähe ist die freie und gänzliche Zustimmung des Menschen die Voraussetzung, dass die göttliche Absicht zur Geltung kommt. Gott macht den, mit dem es schon möglich ist, einen Dialog anzuknüpfen, nicht zum mechanischen Vollzieher seines souveränen Willens. Wenn es nötig ist, „streitet“ er mit ihm oder wartet taktvoll – weil es ihm um seine persönliche Zustimmung geht. Dadurch unterscheidet sich die Beziehung zur göttlichen Nähe von den geistigen Beziehungen, in denen ein Dialog nicht möglich ist, sondern nur eine imperative Symbiose oder ekstatische Einigung (von der Faszination eines geistigen Sektenführers angefangen und mit der Hingebung an das kosmische Universum endend). In der Beziehung zur göttlichen Nähe ist auch der Gehorsam eine frei gepflegte Sensibilität, nicht ein blinder Reflex.
Gerade die souveräne Übermacht Gottes bewirkt, dass der Mensch, der sich frei mit Gottes Willen gänzlich identifizieren will, zuletzt feststellt, dass er, je mehr er mit Gott „eins“ ist, umso mehr die Ungenügsamkeit dieser Identifizierung spürt: seine wesentliche Unfunktion, Begrenzung, Unfähigkeit. Aber die göttliche Nähe erlaubt ihm nicht, sich damit zu quälen: Wenn der Mensch Gott als Gott liebt, liebt Gott den Menschen als Menschen.
Heiligkeit
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Durch seine Heiligkeit äußert Gott die Unberührbarkeit und Würde seiner Anwesenheit in der Transzendenz. Die Heiligkeit Gottes ist zugleich der Maßstab von allem, was es gibt: Sie signalisiert den Primat des axiologischen Horizontes vor dem ontologischen – den Primat der Gutheit, Wahrheit und Schönheit vor dem Sein. (Dieser Primat ist auch in der anthropologischen Projektion bemerkbar: Während aus dem Kontakt mit dem Sein im Menschen nicht nur gute, wahre und schöne Taten und Gedanken geboren werden, sondern gleichfalls auch Verbrechen, Irrtümer und Hässlichkeiten, gegen die vom Gesichtspunkt des Seins aus kein Einwand besteht – sie sind ohneweiters Realität –, entsteht aus dem menschlichen Lebensdialog mit der göttlichen Heiligkeit die Fähigkeit, unabhängig zu bewerten und zu unterscheiden. Die Vertikale dieses Dialogs schützt den Menschen gerade gegen das Unterliegen gegenüber der nivellierenden Macht des Seins.)
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Die Begegnung mit der göttlichen Heiligkeit ist dabei nicht nur eine periphere Berührung, sondern ein gegenseitiges Durchdringen der göttlichen und menschlichen Tiefe. Das Anderssein der absoluten göttlichen Transzendenz teilt sich in ihrer Heiligkeit nicht nur in ihrer „äußeren“ Positivität und ihrem Entgegenkommen mit – wie es z. B. bei der göttlichen Nähe ist –, sondern gibt dem Menschen auch ihren inneren Gehalt und macht ihn schöpferisch mitverantwortlich für das Wirken dieses Gehalts in den Zusammenhängen der Welt. Die Heiligkeit geht dabei ins menschliche Leben im Maß dessen Leerwerdens für sie ein – entsprechend dessen positiver Unabhängigkeit von allen anderen Weisen der Lebenserfüllung. Die freiwillig angenommene Gelöstheit – einschließlich der Erniedrigung und des Todes – ist in der Beziehung zur göttlichen Heiligkeit eine Gelegenheit und ein Weg zur menschlichen Partizipation an ihr: Die Ansprüche der Heiligkeit sind gerade schon ihr Sich-selbst-Schenken. Sie geben dem Menschen die größte menschlich mögliche Freiheit – und zugleich auch die größte menschlich mögliche Verantwortung.
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Die göttliche Heiligkeit erschließt sich dem Menschen als die verwirklichte Fülle des personalen Lebens – als der alles überhöhende innere Reichtum der absoluten Person – und derart auch als das strahlende Bestehen des eindeutigen Guten, das sich restlos ausgibt und dabei nicht verschwindet und nicht abnimmt.
Das Ausstrahlen der göttlichen Heiligkeit fordert dazu auf, dass man sich von ihm durchdringen und führen lasse: auf den Wegen zwischen Gott und den Menschen – ohne das Haltmachen bei sich, im Selbstvergessen, das das menschliche Ich zu einem Durchgangsraum macht. Derart ist auch die menschliche Heiligkeit immer eine direkte Teildurchsicht zu Gott.
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Die Rede aus dem Urgrund der göttlichen Heiligkeit ist die ethische Geradheit und Reinheit, mit der Gott handelt und zu der er auch seine Partner auffordert. Die vollkommene Heiligkeit Gottes liefert den stärksten ethischen Schock, den man erleben kann. Verbergen sich in der Tiefe des menschlichen Wesens noch irgendwelche Residuen des unkritischen oder egolatrischen An-sich–selbst-Hängens, dann können sie sich von Angesicht zu Angesicht dieser Heiligkeit auch als Bedürfnis der Abwehr gegen sie oder als paralysierendes Gefühl der Beschämung melden. Das zermalmende Wirken der göttlichen Heiligkeit kann sogar zur Ablehnung der Beziehung zu Gott führen. In der wahren Freiheit ist jedoch der Mensch im Gegenteil bis zum Kern seines Wesens von der Linderung, dem Staunen, dem Verwundern durchdrungen – und auch von der Dankbarkeit für die unüberwindliche Stütze, die Gott dem darreicht, das mindestens ein wenig rein und hell im Menschen ist. Wenn wir zur Heiligkeit Gottes mit dieser Offenheit hintreten, dynamisiert sie uns wie keine andere Anrede. – Der ausgewogene Dialog mit ihr verläuft dabei im beweglichen Gleichgewicht zwischen Verehrung und Nachfolge: Der Mensch würde die Beziehung zur göttlichen Heiligkeit verlieren, wenn er aus ihr nur einen Gegenstand der Anbetung gemacht hätte, und genauso, wenn er ihre Stütze nur ausnützte.
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Die dynamisierende Wirkung der göttlichen Heiligkeit ist ganz anders als jegliche immanente Motivation unseres Handelns. Sie ist vor allem eine Voraussetzung und Aufforderung zur sich-übersteigenden, hinaufstrebenden ethischen Bewegung. So wie wir in den „Bereich“ der Heiligkeit der göttlichen Person vordringen, so dringt sie in uns ein. In dem Maße unserer Selbsthingabe tritt in uns das ein, das ganz anders ist als wir, das wir aber gerade deswegen lieben, weil dieses Anderssein unendlich schöpferisch und absolut positiv ist. Die Bereitschaft der menschlichen Liebe ermöglicht es zugleich Gott, dass er auf menschliche Weise in die Welt eintritt – durch Vermittlung einmaliger Personen, die ihm ihre Einmaligkeit demütig in den Dienst gestellt haben: der von der göttlichen Heiligkeit überwältigte Mensch will mit Gott sein, er denkt und tut alles mit ihm; er nimmt seine Existenzweise nur in dieser Beziehung an, niemals mehr ohne sie. Von der göttlichen Heiligkeit geführt zu werden ist für den derart beschenkten Menschen das, was er niemals verlieren will und wofür er bereit ist, alles zur Verfügung zu stellen, worüber er disponiert.
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Die göttliche Heiligkeit ist in ihrer Reinheit und Würde unbedingt beständig; sie entgeht allen Versuchen, sie den menschlichen Maßstäben anzupassen. (Genau deswegen kann sie für den Menschen – je nach seiner ethischen Orientierung – entweder die sicherste Lebensstütze oder die am meisten verunsichernde Lebensprovokation sein.) Sie kann dabei alles durchdringen – auch jegliches Unheilige – so dass sie dabei ihre Identität nicht verliert: Auch inmitten der menschlichen Hölle ist sie immer Heiligkeit; mag sie durch jeglichen Schmutz gehen, sie bleibt immer rein; mag sie in jeglichen Kampf eintreten, sie bleibt in ihm immer unberührbar. Mit ihr durch die Welt und das Leben zu gehen gibt dem Menschen die verlässlichste Sicherheit – aber sie verlangt auch, gemeinsam mit ihr keinem Hindernis auszuweichen und gemeinsam mit ihr alles auszuhalten. Die gegenseitige Solidarität von Gott und Mensch ist gerade nur in der Heiligkeit möglich: Von Seite des Menschen ist sie Nachfolge der göttlichen Nicht-Gleichgültigkeit zu allem, was der Liebe und der Gerechtigkeit widersteht, und von Seite Gottes ist sie Stütze der Schwäche des Menschen, der im Konflikt mit dem, was nicht heilig ist, unterliegen könnte.
Damit hängt selbstverständlich auch zusammen, dass die göttliche Heiligkeit nicht missbrauchbar ist. In einer Sache, die keine ethische Berechtigung hat, kann man mit ihrer Solidarität nicht rechnen. Jedoch unsere Freiheit, ohne diese Solidarität mit Annahme aller Folgen zu handeln, wird dabei respektiert.
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Dass Gott durch die Mitteilung seiner Heiligkeit den Menschen in sein Denken, in seine Welt, in sein Leben aufnimmt und seine Schritte auf seinen Wegen und in seinem Licht führt, bringt dem Menschen eine innere Sicherheit, die man in keiner Bedrohung verlieren kann. Sie ist allerdings eine dialogische Sicherheit: nicht übertragbar auf das, was der Mensch allein monologisch „im göttlichen Namen“ zu unternehmen fähig wäre. Der Weg mit der göttlichen Heiligkeit ist daher ein enger Pfad, der auch durch ein sehr anspruchsvolles Terrain führt; selbstsicher von ihm abkommen kann man nur auf einen Abweg. Aus diesem Grund kann der Mensch mit der göttlichen Heiligkeit immer nur eine Gemeinschaft auf Leben und Tod eingehen: Er gibt sich Gott hin als der höchst verlässlichen Zuflucht und dem orientierenden Licht seines Lebens; er nimmt von ihm jegliches an und willfährt ihm in jeglichem – im unbedingten Vertrauen in den letzten Sinn auch jener Taten, die gegenwärtig vom menschlichen Gesichtspunkt aus als allzu riskant oder vergeblich erscheinen; die göttliche Heiligkeit orientiert den Menschen in menschlich ganz unübersichtlichen Situationen, von denen man einen verlässlichen Ausgang nur dadurch finden kann, dass sich der Mensch mit Ausdauer in ihrem Lichte hält.
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In einer durch Zeit und Raum nicht begrenzten Perspektive gibt sich die göttliche Heiligkeit dem Menschen als eine Offenheit, in der sich die ihr gegenüber geöffnete menschliche Person im tiefsten Sinn „daheim“ fühlen kann; sie ist der Bereich des höchst authentischen personalen Lebens. Diese Heiligkeit ist dem gegenüber transzendent, was die personalen Beziehungen irgendwie deformiert, beschmutzt, niedertritt, was sie auf dinghafte Dimensionen reduziert oder ihre ethische Dimension ignoriert. Sie ist gegenüber allen Kontexten transzendent, in denen eine reine dialogische Anrede nicht möglich ist; in denen Gerechtigkeit, Aufrichtigkeit, Liebe, Treue fehlen. Sie ist eschatologisch denen zugänglich, die selbst bereit sind, in sie einzugehen – die sich nicht nur nach einer authentischen Beziehungsdimension des menschlichen Lebens sehnen, sondern die es auch mitschaffen und garantieren wollen: die sich in der Tiefe der Seele nichts anderes mehr wünschen, als dauerhaft in wirklich personalen Beziehungen zu leben.
Die Heiligkeit Gottes ist so die Quelle der Hoffnung und der Seligkeit für alle Menschen, die sich ohne Nebenabsichten nach dem universalen Frieden und der Gerechtigkeit sehnen. Sie ist das Licht für den universalen „Tropismus“ der biophilen Orientierung, des Wachstums in die Höhe und Vollkommenheit und für die Reifung vom Chaos zur Ordnung, von der Willkür zur Freiheit. Sie ist die höchste Stütze des menschlichen Friedens, der Freude und des uneigennützigen Wohlwollens. Sie ist ein Leuchtturm, der von überallher sichtbar ist und ermöglicht, unter allen Umständen in Gemeinschaft mit Gott zu sein, in den Zeiten des äußeren Friedens und Glücks, wie auch in den Zeiten der Apokalypse. Mit der göttlichen Heiligkeit zu sein bedeutet einen ethisch festen Punkt in der relativen Menschenwelt darzustellen.
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Im Licht der göttlichen Heiligkeit hält nichts mehr im Menschen stand, das dem eindeutigen göttlichen Wirken im Wege stünde. Auch eine sehr gründliche selbstläuternde menschliche Reflexion wird durch den läuternden Einfluss der Beziehung zur Heiligkeit Gottes überdeckt und überhöht. Sie wird in eine andere Gestalt umgeschmolzen: Das eigene Ich hört auf, der Ausgangspunkt und das Ziel dieser Reflexion zu sein; dies wird dann das göttliche und menschliche Du sein. Der in dieser Weise reflektierende Mensch beginnt, sich selbst von allozentrischen Gesichtspunkten aus zu begreifen und zu beurteilen. Es ist eine Haltung, die im direkten Gegensatz zum Bestreben um Vervollkommnung der eigenen Fähigkeit zum Beherrschen steht. Der von der Beziehung zu Gott geleitete Dienst reproduziert menschlich den Grundcharakter der göttlichen Beziehung zum Menschen: Er respektiert die Freiheit Anderer und kann auf die Dauer nicht missbraucht werden.
Dieser läuternde Dialog mit der göttlichen Heiligkeit ist für den Menschen der geradeste Weg zur Wahrheit – zuweilen um den Preis der Einsamkeit und Heimatlosigkeit, womit man für die Ablehnung aller Illusionen zahlt –, der Weg zur Freiheit – um den Preis der Selbstverleugnung, womit man für die Ablehnung der Existenzabhängigkeiten zahlt – und der Weg zur Liebe – zuweilen um den Preis des Leidens, womit man für die Ablehnung der schützenden Eigenliebe zahlt.
Dadurch, dass die göttliche Heiligkeit den Menschen derart über ihn selbst hinausführt, ermöglich sie ihm, sich selbst und Andere auch von einem für ihn sowie für die Anderen äußeren Gesichtspunkt aus zu sehen. Das befähigt den Menschen, zugleich in sich selbst und in Anderen für das Gute und gegen das Böse Stellung zu nehmen: Er muss nicht nur durch das schlechte Gewissen ethisch motiviert werden – das, unreflektiert, oft zur ungerechten Verfolgung eines fiktiven Bösen führt oder, reflektiert, oft die Fähigkeit paralysiert, gegen ein reales Böses einzutreten. Die Selbstmitteilung der göttlichen Heiligkeit ermöglicht es dem Menschen, allen Kämpfen einen positiven Sinn zu geben: sie in den Dialog zu integrieren, im Schaffen, in der Liebe. Es bedeutet, dass uns nichts überraschenderweise in den Weg geraten kann: denn das Hinterland, von dem aus der Mensch derart lebt und sich zur Welt und zu den Menschen wendet, ist das tiefste ethische Hinterland auch von allem übrigen, das es gibt.
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Die göttliche Heiligkeit – wenn der Mensch ihr sein Sein übergibt – integriert und durchleuchtet seine Existenz durch eine Ordnung des Handelns, dessen Sinn von monologischen Gesichtspunkten aus unbegreiflich und dessen Wirken von diesen Gesichtspunkten aus unerklärlich ist. Das Wunder des menschlichen Lebens, das dort anwesend ist, wo nach allen psycho-biologischen Gesetzlichkeiten ein menschliches Leben nicht mehr möglich ist, das Wunder der menschlichen Güte, die dort anwesend ist, wo eine Güte nach allen ethologisch-kommunikativen Regeln nicht mehr realisierbar ist, das Wunder des Überflusses der Liebe in den Situationen ihrer tödlichen Bedrohung – so und ähnlich äußert sich das verborgene Wunder der menschlichen Teilnahme an der Heiligkeit Gottes. Die Zeugnisse dieser demütigen Übermacht des Geistes sind kristallklare Zeichen des Dialogs mit Gott.
Der Mensch, der derart für die göttliche Heiligkeit offen ist, spürt, dass er eigentlich „nichts aus sich selbst hat“: Er wird zu einem Werkzeug. Die Hagiographie beschreibt Persönlichkeiten, deren individuelle Züge und Talente, obwohl voll entfaltet, in Beziehung zu Gott nur schmale Spalten sind, durch die ein gewaltiger Überdruck der göttlichen Heiligkeit in die menschliche Welt einsickert – dessen, was die Möglichkeiten jedweder menschlichen Individuation und Realisation unendlich übersteigt. Den Gehorsam Gott gegenüber – die Annahme Gottes als primum movens des eigenen Lebens – erkennt der Mensch als Prinzip der freien persönlichen Existenz.
Die göttliche Heiligkeit ist eine Kraft, die durch den Menschen, der mit ihr in dieser Weise eins ist, sich nach außen mit all dem kundmacht, was der Mensch tut und sagt. Aber nicht einmal in solcher Willenseinigung hört die Beziehung zwischen Mensch und Gott auf, dialogisch zu sein; Gott hebt in ihr die menschliche Freiheit nicht auf, so dass sie sich jederzeit zum Handeln auf eigene Faust loslösen kann. Die Taten, die aus der derart veränderten menschlichen Situation hervorgehen, können dann zwar ständig auf Gott verweisen oder zu ihm um Hilfe rufen, aber Gott selbst redet nicht mehr aktiv durch sie. Er wartet entgegenkommend, dass der Mensch sich der Grenzen seiner heroischen Schwäche bewusst wird und – wenn er es will – das göttliche Leben und sein eigenes Leben wieder gegenseitig aufeinander abstimmen kann. Er wartet, bis der Mensch eindeutig festgestellt hat, dass es ihm überhaupt nicht genügt, wenn Gott nur ein orientierender Hintergrund seines Lebens ist, sondern dass er sich nach seiner tiefen Freundschaft sehnt. Die göttliche Heiligkeit ist eine Expression, die sich in Beziehung zum Menschen nicht anders ausspricht als in der freien Wesensvereinigung des Menschen mit ihr – einer solchen, in der der Mensch für sich selbst nur feststellt „ich bin mit Dir und das ist Glück“. Dann sind Gott und Mensch zum fortsetzenden gemeinsamen Schaffen ganz befreit.
Liebefülle
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Die Liebefülle ist die Dominante der Rede Gottes: Sie drückt seine totale Selbstschenkung aus. Sie ist seine Expression als des transzendenten und alles umarmenden Urhebers davon, dass es überhaupt etwas gibt. Ihre Grundsprache ist daher unauffällig wie das Strömen der Luft oder des Lichtes: In ihr „leben wir, bewegen wir uns und sind wir“. Sie ist (offensichtlich) nicht auszuschöpfen, und ihr Wirken auf uns ist nicht durch unsere Liebe zu ihr bedingt: Durch ihre Uneigennützigkeit ist sie immer gleich frei, aktiv und souverän. Sie drückt die absolute Macht aus und zugleich die absolute Sensibilität, mit der sie jede Regung der Wesen registriert, die sie geschaffen hat und die sie zur Erlösung führt – zum dauerhaften Bleiben in der ungestörten und unverbildeten Liebe.
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Die Liebefülle ist die vollkommenste Äußerung des Zentrums der göttlichen Person. (Sie ist höchst anziehend, aber verborgen in ihrer Transzendenz und gerade deswegen jedem nahe, obwohl zugleich unberührbar heilig.) Obwohl wir von ihrer Selbstschenkung nur ein ganz kleines Bruchstück aufzufangen fähig sind, bringt uns es die absolute Erfüllung. Darum kann der Mensch, der sich von dieser Liebefülle durchdringen lässt, ohne Vorbehalt lieben. (Dagegen entbehrt, im Dialog mit Gott, das Leben, das sich in der Liebe nicht verbraucht, jeglichen Sinn.)
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Erst nachdem wir die göttliche Liebefülle in der Unmittelbarkeit des Dialogs verstanden haben, können wir sie auch in ihren abgeleiteten Gestalten und in ihren Gaben erkennen. – Namentlich ist die Grenzgestalt der Liebe – die Feindesliebe – nur als Verdolmetschung der göttlichen Liebefülle möglich. Nur in ihrem Mitteilen gibt es Sicherheit und Freiheit genug, dass der Mensch an das Gute seines „Feindes“ denken (von dem er in seinem Wesentlichsten, in seiner Beziehung zu Gott keineswegs bedroht ist) und ihn im Interesse seiner potentiellen Liebe beeinflussen kann.
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Die göttliche Liebefülle ist eine Expression, die sich „in allen Richtungen“ mitteilt und durch alles hindurchgehen kann. – Auch der Mensch, der überhaupt nicht liebt, kann ihr einen Dienst erweisen: Die Enttäuschung, die er in liebenden Menschen hervorruft, kann einen befreienden Anfang ihres Wahrnehmens der Liebefülle Gottes bedeuten. Sogar wenn einer die „Liebe“ nur als Werkzeug zum Beherrschen oder Quälen eines anderen Menschen begreift, kann sie ihn gerade dadurch zum Sich-Öffnen entgegen der göttlichen Liebe bringen. Jeglicher äußere Sieg des Bösen in menschlichen Beziehungen kann ein Pyrrhussieg sein, öffnend die inneren Tore der menschlichen Person dem absoluten Guten entgegen.
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Die Äußerung der Liebefülle ist von der göttlichen Seite unbedingt und von der menschlichen Seite unverdient: Auch wenn sich jemand in der Beziehung zu ihr für eine Zeitlang verschlösse und „selbstsüchtig“ zu leben anfinge, als ob alles andere außer Gott für ihn zu existieren aufhörte, würde ihm der liebevolle Gott nicht den Rücken kehren: Er braucht unsere Kapazität nicht durch Übertragung seiner Liebe von Mensch zu Mensch zu erfüllen (er ist hierin nicht auf uns angewiesen), sondern er liebt einen jeden von uns um seiner selbst willen; die Beziehung Gottes und jeder menschlichen Person im besonderen hat ihre Selbstzweckbedeutung.
In diesem Sinn bildet Gott die engste Gemeinschaft mit denen, die keinen anderen haben als ihn: mit den „Armen und Weinenden“, mit den „Waisen, Witwen und Fremden“, mit denen, die für die menschliche Welt „unerwünscht“ sind, aber von Gott in ihrer menschlichen Erniedrigung besonders, ausschließlich geliebt werden. Dadurch, dass Gott mit ihnen ist – damit sie überhaupt leben und unabhängig von allem und trotz allem glücklich sein können – ist jedoch die gegenseitige Solidarität der Menschen keineswegs überflüssig gemacht, sondern wird im Gegenteil dialogisch angeregt.
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Der Gegenpol der persönlichen Beziehung zur göttlichen Liebefülle ist die grundsätzliche Unterstellung von jeglichem der eigenen Selbstliebe: Die Anderen werden entweder in die Rolle von Spiegeln manipuliert, trennend den sich-vergottenden Menschen von der lästigen Realität, oder werden aus dem Weg geräumt, genauso wie der lebendige unbrauchbare Gott. Die verabsolutierte Selbstliebe ist allerdings ein Weg zur maximalen Unfreiheit: Alles mit dem eigenen Nutzen zu messen bedeutet, sich jeglichem anzupassen, denn der äußere Aufstieg ist paradoxerweise eine Frucht der demütigenden Kalkulierung mit den Gesetzlichkeiten und Gelegenheiten. Die Triebkraft ist hier der verzweifelte Ehrgeiz, die Leere der persönlichen Beziehungslosigkeit mit dem eigenen Monolog anzufüllen: selbst „Gott“ zu werden. Dieser Prozess allerdings ist offenbar die wirksamste menschliche Selbstdestruktion.
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In der Beziehung zur göttlichen Liebefülle hören wir oft auf, uns selbst wahrzunehmen, weil wir darauf konzentriert sind, was uns übersteigt und dem wir dienen wollen. Die Identität der göttlichen Liebefülle – der wir uns zur Verfügung stellen – ist für uns das wichtigste. Die Bestimmung, wer wir eigentlich sind, überlassen wir Gott. Zum Unterschied von der Eigenliebe – die ständig um eine bestimmte Selbstauffassung kreist und sie ständig bekräftigt – kann man das Wirken der göttlichen Liebefülle durch keine menschliche Selbstauffassung begrenzen. Diese Liebefülle äußert sich durch uns gerade nur dann, wenn sie für uns wichtiger ist als wir selbst.
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Die Frage der Theodizee – warum der liebevolle Gott die Menschen leiden lasse – ist am leichtesten zu beantworten, wenn der Fragende in ihr Licht auch sein eigenes Tun einbezieht (seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Unrecht, seine routinemäßige Aggressivität, seine verborgen gebliebene Nachlässigkeit u. ä.). Dieselbe Frage lautet dann: Warum lässt Gott auch mich Andern Leiden zufügen? Hört der Mensch auf, sich in der Beziehung zur göttlichen Liebefülle monologisch in die Rolle eines unbeteiligten Richters zu stilisieren und erblickt er im Gegenteil seinen persönlichen Anteil an Schuld, dann kann er den Sinn des göttlichen Respekts vor der menschlichen Freiheit begreifen und auch Gottes außerordentliche Beziehung zu den Menschen, die die menschliche Situation retten: Obwohl sie mehr Unrecht erlitten, als sie selbst verursacht hatten, wollen sie nicht aufhören zu lieben.
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Wenn das Annehmen der göttlichen Liebefülle zu einer konstruktiven Mitarbeit anzuwachsen beginnt, in der der Mensch die Sorge um sich Gott anvertraut und selbst in der Pflege dessen aufgeht, das Gott ihm anvertraut, dann hören für ihn allerdings die durchgehenden Schwierigkeiten dieser Liebe nicht auf, ihn von neuem an seine Schwäche und Gebrechlichkeit zu erinnern; sie zerstreuen ihn und führen auch zum Vergessen Gottes. Die menschliche schöpferische Tätigkeit kann sich so zu einem beharrenden Aktivismus verwandeln, der an utopischen Vorstellungen festhält, die nicht mehr durch einen Dialog mit der göttlichen Liebefülle korrigiert werden.
Diese inspiriert menschliche Taten nicht notwendig so, dass sie ihnen mehr Energie einflösse und die menschliche Leistung steigerte, sondern vor allem so, dass sie die menschlichen Haltungen verändert und das menschliche Innere öffnet. Wenn die Sicherheit und das Glück des Menschen in der Welt nicht mehr primär durch etwas von der Welt bedingt und durch Konformität mit den menschlichen Teilinteressen gegeben ist, ist der Mensch zur reinen und echten ethischen Motivation befreit. Die ethische Haltung hat einen kultivierenden Einfluss auch auf die immanenten – psychologischen, sozialen und andere Parameter des menschlichen Lebens in der Welt: Sie gestaltet die Geschichte als Heilsgeschichte mit.
Die Menschen, deren Lebensmotivation primär von der göttlichen Liebefülle und nicht mehr von den undialogischen utopischen Vorstellungen getragen wird, sind einander kooperativ nahe, unabhängig von ihren Situations-Konstellationen und Möglichkeiten der gegenseitigen Kommunikation: Die göttliche Liebefülle begründet die ethische Universalität der menschlichen Beziehungen.
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Die Liebefülle Gottes gewährt dem Menschen das tiefste Hinterland und die tiefste Inspiration zur Liebe als freiwilligem Opfer: Sie ist eine Gewähr dafür, dass die menschliche todgeweihte Existenz den höchsten Sinn als Sterben aus Liebe haben kann.
Das im Dienst der absoluten Liebefülle gelebte Leben ist soweit eine sinnvolle Lebensweise, als es auch die „Absurdität“ des Todes überwindet: Die menschliche Liebe, nicht nur als passives Empfangen und als Gegenseitigkeit aufgefasst, sondern letzten Endes und vor allem als aktives Opfer, ist ein schöpferisches Sich-selbst-Ausgeben, das auch dem Tod eine biophile Bedeutung gibt und alles Endliche übersteigt – sie ist ein Sterben ins Leben. Die Liebe, die etwas weniger ist als Opfer, ist ständig unter der Herrschaft der Relativität und Endlichkeit; sie wird vom Tod begrenzt und überboten wie alles andere von der geschaffenen Wirklichkeit, das nicht fähig ist, sich dem (ewigen) personalen Dialog mit Gott anzuschließen.
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Die göttliche Liebefülle schützt und unterstützt die menschliche schöpferische Freiheit. Metaphorisch zusammengefasst: ihre Glut ist imstande, alle Fesseln zu schmelzen und alle Schlingen zu verbrennen; ihre Gastfreundlichkeit ist imstande, jeglichem desorientierenden Unwetter zu trotzen; ihre schöpferische Macht ist imstande, uns Flügel zu verleihen. Wenn wir Gott lieben und seine Liebefülle in unsere Taten, Worte und Gedanken aufnehmen, dann sind wir zugleich in seine Liebe aufgenommen. Wenn wir aus seinen Wünschen unsere freiwillig übernommene Verpflichtung machen, dann haben wir die Übereinstimmung mit dem gewählt, der uns geschaffen hat, der uns am meisten liebt und der uns niemals verlieren will (wenn er uns auch die Möglichkeit gibt, die Beziehung zu ihm jederzeit abzubrechen).
Die dialogische Beziehung zur göttlichen Liebefülle begründet so am tiefsten unsere freie Lebenshaltung: unsere menschliche Würde, unsere Fähigkeit zu reflektieren, zu bewerten und zielbewusst in das Weltgeschehen einzutreten, unsere Bereitschaft, uns ethisch binden zu lassen, und die Möglichkeit, in uns eine Stütze an der Vertikale des Geistes über dem Karussell aller Eitelkeiten und Fiktionen zu finden. Während es zum unpersonalen und beziehungslosen konstitutiven Prinzip der Freiheit die Möglichkeit angenommen wird, in jeglicher Weise zu handeln – mag dadurch unsere Freiheit auch rückwirkend verarmen oder sich reduzieren –, kann zur schöpferischen Erfüllung unserer menschlichen Freiheit offenbar nur die volle personale Beziehung mit dem sein, der sie uns gegeben hat, mit dem geheimen Wunsch, dass wir diese ihre mögliche Erfüllung als die empfangene Vollendung seiner Gabe entgegenkommend begreifen. Die Geschichte – ebenso die persönliche wie die der ganzen Menschheit – ist immer noch ein offener Dialog über das Thema „Erfüllung“ – ein Dialog zwischen der göttlichen Liebefülle und der menschlichen Freiheit.